Gnadenbrot


... don't need no wings, to fly away …

In der noch frischen Dunkelheit der Nacht trete ich hinaus auf die Terrasse. Ein lauer Sommertag ist vorüber, nun weht ein herrlich erfrischender Wind. Ich blicke in den wolkenlosen Himmel voller Sterne und gebe meiner Neigung zum Träumen nach.

Worte, die ich heute gelesen habe, fallen mir ein. Worte, die ich als Umarmungen empfinde, mal in Freundschaft, mal etwas mehr. Es ist nicht wichtig, ob es Einbildung ist oder nicht. Wichtig ist, dass ich mich wohl fühle, und dass ich den Eindruck mitgenommen habe, dass es den Menschen am anderen Ende ähnlich geht.

Der Wind verfängt sich in den weiten Ärmeln meines Hemdes, ich fühle mich leicht. Es erscheint wie ein kleiner Schritt, jetzt die Arme auszubreiten und sich vom Wind tragen zu lassen, seine Frische in einem Gefühl der Schwerelosigkeit fühlen zu können.

Ich höre leise Schritte, und jemand tritt neben mich, blickt gleich mir in die Nacht. Gleich und doch nicht gleich ...

"Möchtest Du nicht auch manchmal fliegen können ?", der Gedanke entflieht unkontrolliert. "Hhhmmmpfff", jemand schaut mich aus ungläubig aufgerissenen,  amüsiert funkelnden Augen an. Schöne Augen, denke ich, und lächle. Das Teilen ist in diesem Moment nicht  wichtig. Im Gegenteil, der Gedanke, dass ich jemanden amüsiere, trägt zu meiner Stimmung bei ...

Tage später, Dämmerung, wieder ist ein wunderschöner Tag vorüber. Ich betrachte Bäume, die im warmen Licht  benachbarter Laternen zu Phantasiegeschöpfen werden und mit ihren Armen anmutige Signale aussenden. Auf  einer nahen Brüstung entdecke ich plötzlich eine Drossel. Merkwürdig, nur eine Armlänge von mir entfernt, und  doch keine Anzeichen der Flucht, selbst, als ich mich ihr nähere.

Nur Zentimeter von ihr entfernt trete ich wieder zurück, wende meinen Blick erneut den Bäumen zu. Eine  Bewegung lenkt meine Aufmerksamkeit auf den Hof, ich sehe den Vogel hüpfen. Wild flattern seine Flügel, aber  in nur einem halben Meter Höhe ermüdet der Flügelschlag und er sinkt wieder zu Boden.

Wieder nähere ich mich ihm, betrachte ihn nun genauer. Ich sehe, dass er keinen Schwanz mehr hat, er kann  nicht mehr fliegen. Hilflosigkeit erfüllt mich. Wahrscheinlich ist es das beste für ihn, wenn ihn eine der Katzen  der Nachbarschaft entdeckt.

Wie Tage zuvor tritt jemand neben mich, ich zeige ihr den Vogel: "Keine Schwanzfedern mehr, er kann nicht  mehr fliegen". Auch sie weiss keine Lösung. Mitleidsvoll geht sie, kommt wenig später mit einigen Brotkrümeln,  streut sie vor dem Vogel aus.

Gnadenbrot, er kann nicht mehr fliegen, sein Leben ist beendet. Und für einen kurzen Moment bin ich geneigt,  die beiden Abende in meinen Gedanken nebeneinander zu halten ...








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