Zusammenfassung
Auf Davids Flucht vor Absalom begegnen wir in 2. Samuel 16 sehr unterschiedlichen Menschen. Zunächst kommt Ziba, der Diener Mephiboschets, David mit Eseln, Brot, Rosinenkuchen und Wein entgegen. Auf Davids Frage nach Mephiboschet behauptet Ziba, dieser sei in Jerusalem geblieben, in der Hoffnung, die Königsherrschaft seines Großvaters Saul zurückzubekommen. David glaubt ihm und überträgt spontan den ganzen Besitz Mephiboschets an Ziba – eine Entscheidung, deren Einseitigkeit sich später zeigen wird.
Wenig später erscheint Schimi, ein Mann aus dem Haus Sauls. Er begleitet Davids Zug vom Hang her, wirft mit Steinen und Staub und verflucht den König: David sei ein „Bluthund“, der nun die gerechte Strafe für das Blut des Hauses Sauls erleide. Abischai will Schimi sofort töten, doch David hält ihn zurück. Er sieht in Schimis Fluch möglicherweise ein Reden Gottes: Wenn der HERR ihn fluchen lässt, soll man ihn fluchen lassen. Vielleicht werde der HERR sein Elend ansehen und ihm Gutes erweisen statt des Fluches. So zieht David demütig, erschöpft und beschmutzt weiter.
Die Szene wechselt nach Jerusalem. Absalom zieht in die Stadt ein, begleitet von Ahitophel und bald auch von Huschai, Davids Freund, der seine Loyalität scheinbar Absalom anbietet. Ahitophel rät Absalom, noch am selben Tag öffentlich zu den Nebenfrauen Davids einzugehen, die als Wächterinnen des Palastes zurückgeblieben sind. Auf dem Dach – für alle sichtbar – soll Absalom mit ihnen schlafen. So würde er deutlich machen, dass der Bruch mit seinem Vater endgültig ist, und die Hände aller, die ihm folgen, würden erst recht stark. Absalom folgt dem Rat. Damit erfüllt sich schmerzhaft Nathans Wort aus 2. Samuel 12, dass Davids Frauen „vor aller Augen“ genommen werden würden.
Theologische Interpretation
Das Kapitel entfaltet drei Linien: Intrige, Fluch und Schande – und dazwischen Davids Reaktion. Ziba spielt die Rolle des Nutznießers einer Krise. Er bringt zwar reale Hilfe, nutzt aber die Situation, um Mephiboschet zu verleumden. Der Text bewertet seine Aussage an dieser Stelle nicht; später wird deutlich, dass Davids Urteil vorschnell war. Theologisch warnt uns die Szene: In Zeiten von Chaos und Machtwechsel sind Halbwahrheiten und üble Nachrede besonders wirksam. Der König, der sonst nachfragt, urteilt unter Druck zu schnell.
Schimi verkörpert den offenen Gegner. Seine Flüche mischen Wahrheiten (David ist tatsächlich in Blut verstrickt) mit falschen Deutungen (Sauls Tod war nicht Davids Mord). David nimmt die Demütigung hin, statt zurückzuschlagen. Er anerkennt, dass sein eigenes Versagen (u. a. in der Sache Batseba/Urija) Teil der Hintergrundfolie ist. Zugleich hofft er auf Gottes Erbarmen. Davids Antwort auf Abischais Tötungsvorschlag ist theologisch zentral: Er vertraut darauf, dass Gott selbst über Recht und Unrecht urteilen wird.
Absaloms Handeln mit den Nebenfrauen Davids ist mehr als moralischer Fall; es ist ein politischer Akt. Wer die Frauen des Vorgängers „übernimmt“, beansprucht dessen Thron. Ahitophels Rat markiert den Punkt, an dem der Aufstand unumkehrbar wird. Zugleich erfüllt sich Gottes Gerichtswort an David. Das macht deutlich: Gottes Vergebung in Kapitel 12 hebt die Konsequenzen der Sünde nicht auf. Das eigene Haus wird zum Schauplatz der Ernte. Dennoch bleibt Davids Reaktion im Zentrum: Er lässt Gottes Urteil gelten und weigert sich, seine Königsrechte mit Gewalt zu verteidigen.
Aktualisierung mit NT-Bezug
2. Samuel 16 lässt sich eindrücklich neben die Leidensgeschichte Jesu legen. Wie David wird Jesus auf seinem Weg vom Volk verspottet, beschimpft und mit Hohn überschüttet. Falsche Zeugen treten auf, die seine Worte verdrehen. Wie David wehrt sich Jesus nicht mit Gewalt, sondern überlässt sich dem Urteil Gottes. Petrus schreibt später, Christus habe, als er geschmäht wurde, nicht mit Schmähung vergolten, sondern „sich dem anvertraut, der gerecht richtet“ (1Petr 2,23).
Ziba erinnert an Menschen, die Krisen nutzen, um ihren Einfluss zu vergrößern – auch im geistlichen Raum: fromme Worte, praktische Hilfe, aber dahinter ein Herz, das eigene Vorteile sucht. Das Neue Testament mahnt: Prüft die Geister, seid wachsam gegenüber Verleumdung. Schimi steht für offene Feindschaft und verletzende Worte. Jesus ruft seine Jünger, nicht mit gleicher Münze zu reagieren, sondern zu segnen, wo sie verflucht werden. David lebt in Ansätzen vor, was Jesus in Vollkommenheit praktiziert.
Absaloms Schandtat mit den Nebenfrauen Davids zeigt, wie Sexualität als Machtmittel missbraucht werden kann. Im Kontrast dazu steht Jesus, der als Bräutigam die Gemeinde liebt, ohne sie auszunutzen, der sich selbst hingibt, statt andere zu instrumentalisieren (Eph 5). Wer ihm folgt, wird Sexualität nicht als Werkzeug der Machtdemonstration verstehen, sondern als Gabe in verantwortlicher, dienender Liebe.
Fazit
2. Samuel 16 zeigt David auf einem Tiefpunkt: verleumdet, verflucht, entehrt. Die einen nutzen seine Krise, die anderen treten nach. Doch gerade hier leuchtet etwas von einer tieferen Königswürde auf: David schlägt nicht zurück, sondern hält es aus und hofft auf Gott. Ein Leitsatz könnte lauten: „Gottes Kinder müssen ihre Ehre nicht selbst verteidigen – Gott sieht und wird richten.“
Für unser Leben bedeutet das: Wir werden Zibas, Schimis und „Absalom-Momente“ erleben – Menschen, die uns unfair behandeln, Situationen, in denen unsere Vergangenheit gegen uns spricht, Zeiten, in denen wir scheinbar nur verlieren. 2. Samuel 16 lädt ein, in solchen Phasen nicht zum zynischen Kämpfer oder bitteren Opfer zu werden, sondern – wie David und erst recht wie Jesus – den Weg der Demut zu wählen, das eigene Herz prüfen zu lassen und Gottes Urteil über Menschenurteile zu stellen.
Studienfragen