Texterläuterung
Kapitel 3 beginnt mit einer erklärenden Rückblende: Einige kanaanäische Völker bleiben im Land, weil Gott Israel prüfen will, ob es seinen Wegen folgen wird. Der Krieg soll auch dazu dienen, die nachfolgenden Generationen mit Kampf und Abhängigkeit von Gott vertraut zu machen.
Es folgen Berichte über drei der ersten Richter:
Othniel, Kalebs Neffe, wird von Gott als Retter berufen, als Israel sich den Götzen Baal und Aschera zuwendet. Nach achtjähriger Unterdrückung durch den König von Mesopotamien ruft das Volk den Herrn an – und Gott gibt Othniel den Geist. Er siegt, und das Land hat vierzig Jahre Ruhe.
Nach Othniels Tod folgt ein Rückfall. Israel dient dem Gott Eglon von Moab. Diesmal beruft Gott Ehud, einen linken Benjaminiter, der eine List anwendet: Er überreicht dem fetten König Eglon ein „Geschenk“ – ein verstecktes Schwert – und ersticht ihn allein im königlichen Raum. Danach flieht er und führt einen erfolgreichen Aufstand an. Das Land hat achtzig Jahre Ruhe.
Schließlich wird kurz Schamgar erwähnt, der 600 Philister mit einem Viehtreiberstock erschlug. Über ihn erfahren wir nichts weiter – außer, dass auch er Israel rettete.
Theologische Interpretation
Richter 3 stellt drei unterschiedliche Retter vor – und macht deutlich: Gott handelt durch unerwartete Personen und Wege. Othniel steht noch in der Linie Josuas: adlig, mutig, geistbegabt. Ehud dagegen ist linkshändig – im Alten Orient galt das als Schwäche oder Abnormität. Doch gerade seine scheinbare Schwäche ermöglicht den Überraschungscoup. Schamgar schließlich ist kein Israelit und kein Kämpfer – und dennoch ein Werkzeug Gottes.
Zugleich zeigt sich das wiederkehrende Muster: Untreue – Unterdrückung – Gebet – Errettung – Ruhe – Rückfall. Israels Treue ist brüchig, Gottes Gnade dagegen treu. Die „Ruhejahre“ sind keine Belohnung, sondern Frucht göttlichen Eingreifens.
Bemerkenswert ist, dass Gott sich nicht auf bestimmte Typen festlegt: Sein Geist wirkt durch bekannte und unbekannte Menschen, durch Strategie und Überraschung, durch Stärke und List.
Leitthema aus heutiger Sicht: Gott gebraucht Unscheinbare
Ehud und Schamgar wären in vielen Augen „ungeeignet“. Doch genau darin liegt die Botschaft: Gottes Berufung richtet sich nicht nach äußeren Maßstäben. Wer sich ihm anvertraut, kann zum Werkzeug seiner Rettung werden – auch auf ungewöhnlichem Weg.
Ein aktuelles Beispiel ist Jean Vanier (1928–2019), Gründer der L’Arche-Gemeinschaften. Ursprünglich Offizier in der Marine, entschloss er sich, mit geistig behinderten Menschen in Gemeinschaft zu leben. Was als persönliche Geste begann, wurde zu einer weltweiten Bewegung: Orte, an denen Würde, Einfachheit und Annahme zählen – statt Effizienz oder Ansehen. Wie Schamgar mit seinem Viehtreiberstock baute Vanier mit den Mitteln, die er hatte – aber mit großer Wirkung.
Zusammenfassung
Richter 3 zeigt: Gott rettet – nicht trotz der Schwäche seiner Werkzeuge, sondern oft gerade durch sie. Othniel, Ehud und Schamgar sind keine Helden im klassischen Sinn, sondern Beispiele für Gottes unkonventionelle Wege. Ihre Geschichten rufen uns zu: Es kommt nicht auf Herkunft, Kraft oder Ansehen an – sondern auf Verfügbarkeit, Gehorsam und Gottes Geist. Denn Rettung geschieht dort, wo Menschen sich gebrauchen lassen – auch gegen jede Erwartung.