Richter 9 – Macht um jeden Preis: Die dunkle Geschichte Abimelechs


Texterläuterung

Richter 9 bildet eine Zäsur: Zum ersten Mal erzählt das Buch die Geschichte nicht eines von Gott berufenen Retters, sondern eines machtgierigen Usurpators – Abimelech, des Sohnes Gideons mit einer Nebenfrau aus Sichem. Nach Gideons Tod geht Abimelech zu seinen mütterlichen Verwandten und überzeugt sie, ihm die Königsherrschaft über Sichem zu übertragen. Mit Silber aus dem Baals-Tempel heuert er Söldner an und ermordet seine 70 Halbbrüder, um alle Rivalen auszuschalten. Nur Jotam, der jüngste Sohn, entkommt.

Jotam stellt sich auf den Berg Garizim und hält eine prophetische Fabelrede: Die Bäume wollen einen König – doch der Ölbaum, der Feigenbaum und der Weinstock lehnen ab. Erst der nutzlose Dornstrauch (Symbol für Abimelech) sagt zu – und droht, Feuer zu bringen. Jotams Rede endet mit einem Fluch: Wenn Abimelech unrechtmäßig regiert hat, soll Feuer ihn und Sichem verzehren.

Drei Jahre später zerbricht das Bündnis zwischen Abimelech und den Bürgern Sichems. Gott sendet „einen bösen Geist“, der Misstrauen sät. Es kommt zu Verrat, Mord und offenen Aufständen. Schließlich bringt Abimelech Sichem mit Feuer und Schwert vollständig unter seine Kontrolle – doch bei einem weiteren Feldzug wird er von einer Frau durch einen Mühlstein erschlagen.

Sterbend befiehlt er seinem Waffenträger, ihn zu töten, damit nicht gesagt werde, er sei „von einer Frau umgebracht“ worden. Der Fluch Jotams erfüllt sich: Abimelech und Sichem vernichten einander.

Theologische Interpretation

Kapitel 9 ist eine düstere Reflexion über Machtmissbrauch, Götzendienst und Vergeltung. Kein Retter wird von Gott gesandt; Abimelech nimmt sich das Königtum mit Gewalt. Gott greift indirekt ein – durch Zersetzung der Bündnisse, durch Gericht über Abimelechs Verbrechen und durch das Eingreifen einer namenlosen Frau.

Jotams Gleichnis ist theologisch zentral: Die fruchttragenden Bäume lehnen die Macht ab – nur der Dornenstrauch, der nichts gibt und nur schadet, ergreift sie gierig. Es ist ein Bild für falsche Führung: Wer ohne Berufung herrscht, bringt Zerstörung statt Segen.

Abimelechs Fall erinnert: Wer Blut vergießt, wird durch Gewalt fallen. Der Text zeigt eine Welt ohne geistliche Orientierung, in der politisches Kalkül, Verrat und Gewalt das Handeln bestimmen. Gottes Gerechtigkeit verzögert sich, aber sie kommt.

Leitthema aus heutiger Sicht: Die zerstörerische Macht des Ehrgeizes

Abimelechs Beispiel zeigt, wie Ehrgeiz ohne Werte Gesellschaften zerstört. Auch heute sehen wir, wie machthungrige Führer mit populistischen Mitteln Herrschaft erlangen – oft auf Kosten der Schwächsten.

Ein passendes Beispiel ist Enver Hoxha, der kommunistische Diktator Albaniens (1944–1985). Aus ideologischen und persönlichen Motiven ließ er Gegner systematisch ausschalten, isolierte das Land vollständig und machte es zu einem der repressivsten Staaten Europas. Er errichtete Hunderttausende Bunker, zerstörte Kirchen und Moscheen und errichtete einen Personenkult, der das Land ins Elend führte. Nach seinem Tod zerfiel das Regime – und Albanien musste sich mühsam aus Jahrzehnten der Angst und Propaganda befreien. Wie bei Abimelech: Macht ohne Gottesfurcht endet in Verwüstung.

Zusammenfassung

Richter 9 ist ein biblisches Lehrstück über Selbstermächtigung, Verrat und Gericht. Abimelech steht für den Versuch, ohne Gottes Berufung König zu sein – mit verheerenden Folgen. Jotams Gleichnis mahnt: Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt. Gott mag lange zusehen – aber am Ende kehrt das Böse zu seinem Ursprung zurück. Wer Macht sucht, soll fragen: Dient sie dem Volk oder nur sich selbst? Denn Gott ist ein Gott der Gerechtigkeit – auch ohne Blitz und Donner.