Lisa
war aufgeregt. Heute begann die klassenübergreifende
Projektwoche und sie hatte sich für die Arbeitsgruppe
"Fremd in Deutschland" eingetragen. In dieser Gruppe
war auch Tjorben, mit dem sie schon seit einigen Wochen
befreundet war. Sie sprang die Treppe zum ersten Stock geradezu
hinauf, nahm immer zwei Stufen auf einmal und wäre an der
obersten Stufe fast hingefallen, weil sie mit ihrem Fuß
hängen geblieben war. Im Klassenzimmer waren schon jeweils
vier Tische zusammengestellt. Schnell hatte sie Tjorben und die
anderen beiden Mitschüler der Gruppe "Fremd in
Deutschland" gefunden und sie begannen mit der Gliederung
und Aufteilung des Themas. Lisa und Tjorben wollten darüber
berichten, warum Menschen aus anderen Ländern früher
nach Deutschland gekommen sind, die beiden anderen hatten die
Aufgabe, herauszufinden, warum Fremde auch heute noch nach
Deutschland kommen und wie sie bei uns leben. Lisa und
Tjorben versuchten zunächst, etwas in der Bücherei der
Schule zu ihrem Thema zu finden und tatsächlich, da gab es
in einem Lexikon einen Artikel zu "Gastarbeitern in
Deutschland". Aber außer ein paar Zahlen, die sie
verwenden konnten, war der Artikel viel zu kompliziert und
langweilig für sie. Als endlich ein Computerplatz frei
geworden war, suchten sie im Internet nach Informationen und
stellten fest, dass es dort zwar unzählige Seiten zum Thema
"Gastarbeiter" gab, aber wer sollte das alles lesen,
ordnen und dann für ein zehnminütiges Referat
zusammenstellen? Und wie macht man aus hunderten Seiten im Netz
einen zehnminütigen Vortrag? Was war wichtig und was nicht?
Schließlich sollten sich ihre Zuhörer nicht
langweilen und eine gute Zensur wollten sie auch für ihr
Referat bekommen. Lisa und Tjorben überlegten, aber alles,
was ihnen einfiel, war ihnen nicht gut genug. Sollten sie ein
Plakat anfertigen? "Das machen doch alle!", meinte
Tjorben. Sie könnten einen You-Tube-Film über die
Rolle der Gastarbeiter zeigen. Aber dann würde Herr
Strackerjahn sagen, sie hätten sich zu wenig eigene
Gedanken gemacht. Ihnen fiel absolut nichts ein. "Was
machen eigentlich die anderen?", fragte Lisa und sie
schauten eine Weile den anderen Gruppen zu. Frederik und Paul
suchten gerade im Internet nach Bildern zum Thema "Leben in
Syrien" und Emilia und Urte hatten noch gar nichts auf
ihrem Zettel, sie planten noch. "Was wird das denn?",
fragte Tjorben, als er Henning und Marvin beim Arbeiten
zuschaute. "Wir bauen ein Modell eines kleinen
afrikanischen Dorfes!", erwiderte Marvin. "Wir haben
das Thema: "Wie lebt man in Somalia auf dem Lande."
Lisa flüsterte Tjorben zu."Das sieht ja schon richtig
toll aus. Die bekommen bestimmt eine Zwei." Sie war ein
wenig neidisch, warum hatten sie nur das doofe Thema
"Gastarbeiter" gewählt? "Wir können ja
auch ein Modell basteln", meinte Tjorben. Lisa
prustete los: "Von einem Gastarbeiter?" Beide lachten
sie. Aber da hatte Lisa einen Gedanken, einen guten Gedanken,
wie ihr schien. Klar, ein Modell, das ist es! Zu Tjorben gewandt
sagte sie: "Ich kümmere mich mal um unsere gute
Zensur. Vertraust du mir, ich bringe morgen das Modell mit!"
Tjorben
schüttelte offenbar nicht ganz überzeugt den Kopf.
"Wenn Du meinst", sagte er und sie begannen, auf ihren
Handzettel für das Referat zu schreiben, was Gastarbeiter
sind und wann, warum und wieviele nach Deutschland gekommen
sind. Als Lisa am nächsten Morgen in die Klasse kam, sah
Tjorben sie fragend an. "Wo ist das Modell, du wolltest
dich doch darum kümmern?", fragte er etwas enttäuscht.
"Ach ja", meinte Lisa und sah ihn lächelnd an,
"Wo habe ich das Modell nur gleich?" Sie ging zur
Klassentür und kam mit Ecrin wieder herein. "Das ist
unser Model", lachte sie. "Ihr Großvater ist als
Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Sie kann viel erzählen.
Wir machen ein Interview mit ihr! Das ist doch
superinteressant!" Tjorben wusste erst gar nicht, was er
sagen sollte, aber dann brach es aus ihm heraus: "Das ist
ja mega-cool, Lisa. Ein Interview! Super Idee. Du bist cool,
Mädchen!" Lisa drehte sich schnell weg, damit Tjorben
nicht sah, dass sie rot wurde. Und dann begannen sie, den
Vortrag zu üben. Zuerst berichtete Tjorben, dass ab 1960
die ersten türkischen Gastarbeiter nach Deutschland
gekommen sind, denn hier gab es viel Arbeit, aber nicht genug
Arbeitskräfte. Darum hat man in der Türkei und anderen
Ländern nach Leuten gesucht, die helfen konnten. Insgesamt
seien 1.6 Millionen Türken zu uns nach Deutschland
gekommen. Er trug noch einige Zahlen und Tabellen vor und dann
war Ecrin an der Reihe, die Lisas Fragen beantwortete. Sie
erzählte von ihrem Opa, der schlimmen Situation in der
Türkei damals und wie schwer es ihm gefallen war, seine
Familie und seine Freunde dort zu verlassen. Aber in Deutschland
gab es gutes Geld zu verdienen und schnell hatte er Arbeit in
einer Fabrik gefunden und konnte jeden Monat etwas von dem
verdienten Geld in die Türkei zu seiner Familie schicken.
Die war sehr froh darüber, besonders auch dann, wenn er
einmal im Jahr für zwei Wochen in die Türkei kam, um
seine Familie zu sehen. Es dauerte nämlich einige Jahre bis
seine Frau und Kinder nach Deutschland kommen durften. Ecrin
erzählte vieles, wovon Tjorben und Lisa noch nie gehört
hatten. "Cool", meinte Tjorben, als das Interview
beendet war. "Ich habe gar nicht gewusst, dass wir die
Türken gebeten haben, zu uns nach Deutschland zu kommen, um
uns helfen. Und warum habt ihr jetzt einen "Schöner-Laden",
eeh Entschuldigung, einen Döner-Laden?" - "Weil
es irgendwann nicht mehr so viel Arbeit in den Fabriken gab. Da
haben sich etliche Türken selbständig gemacht. Sie
eröffneten kleine Gemüseläden, Teehäuser,
Schneidereien und vieles mehr! - "Und Dönerläden",
sagte Lisa. "Genau!", lachte Ecrin. Ihr Referat am
nächsten Tag wurde ein großartiger Erfolg. Die
Klassenkameraden lauschten sehr interessiert, was Ecrin so alles
zu erzählen hatte, und Herr Strackerjahn gab ihnen eine
Zwei plus für das Referat. "Wie gut Lisa, dass du dich
gekümmert hast!", freute sich Tjorben über die
gute Zensur. "Wenn ich das nächste Mal ein Problem
habe, darfst du dich wieder kümmern. Echt krass!" Da
wurde Lisa schon wieder rot.
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