Am
anderen Morgen standen Saron und seine Gefährtin spät
auf, denn sie hatten keine besonderen Aufgaben an diesem Tag zu
erledigen. Nachdem sie ihre Morgenandacht gehalten hatten,
schauten sie sich die Stadt an, schlenderten durch die Straßen
und blieben endlich auf dem wunderschönen, von alten
Fachwerkhäusern eingerahmten Marktplatz stehen. Lange
bewunderten sie die Schönheit dieses Platzes. Später
nahmen sie sich etwas zu essen mit und gingen zum Gemeindehaus
zurück. Nach der Mittagsruhe beantwortete Saron noch einige
Mails und schaute dann auf seine Facebookseite. Er hatte dort
über 1000 Freunde aus den verschiedensten christlichen
Gemeinschaften und Kirchen. Aber schon bald schloss er sein
Laptop. "Ich mag das gar nicht anschauen." ,sagte er zu
seiner Frau, "Viele Christen haben nichts besseres zu tun,
als dem Andersdenkenden die Hölle anzudrohen. Der eine
schickt alle die in den Feuersee, die den Sabbat nicht halten,
der andere verflucht jeden, der eine katholische Kirche nur
betritt. Der nächste sagt, wer Gott im Lobpreis anbetet, sei
den Schlichen des Bösen verfallen und wieder ein anderer
verflucht alle Homosexuellen. Falsch liegt, wer die Erde für
eine sich drehende Kugel hält, nach der Bibel sei sie doch
eine Scheibe.(1) Was Menschen so alles aus der gleichen Bibel
herauslesen!(2) Wie weh muss es Jesus tun, wenn er sieht, dass
sich gerade die am meisten zanken, die sich seine Jünger
nennen" Saron seufzte. Gegen Abend füllte sich der
Saal des Gemeindehauses und nachdem man miteinander gebetet und
einige Lieder gesungen hatte, bat man Saron mit seinem Vortrag
fortzufahren. "Bevor ich etwas zum Umgang mit der Bibel
sage" ,begann er, "Noch ein kleiner Nachtrag zu
gestern. Ihr sagtet, ihr seid uneinig über den Umgang mit
Fundamentalismus. Das ist ganz natürlich und ihr müsst
einander in Liebe begegnen, denn jeder von uns ist auch ein wenig
Fundamentalist und hat Bibelstellen und geistliche
Verhaltensweisen liebgewonnen, zu denen er kompromisslos steht
und die er nicht verändern möchte. Das ist vollkommen
in Ordnung, sofern er anderen, die seine Erkenntnisse nicht
teilen, den wahren Glauben nicht abspricht, indem er verlangt,
alle müssten seine Auffassung der Dinge teilen.(3) Ein
Beispiel: Was oder wem schadet es, wenn einer glaubt, die Erde
sei in 6 Tagen erschaffen? Es steht so wörtlich in der
Bibel. Ein anderer glaubt hingegen, dass sei nur bildhaft und es
habe Milliarden von Jahren gedauert, bis alles so war, wie wir es
heute vorfinden. Warum können diese beiden nicht Freunde
sein? Was hat die Schöpfungsfrage mit der Erlösung des
Menschen zu tun? Problematisch wird die Sache erst, wenn z.B. der
"6-Tage-Schöpfungs-Christ" alle in der Gemeinde
von der Richtigkeit seines Bibelverständnisses überzeugen
will. Dann gibt es Probleme. Oder wenn er verlangt, sein Sohn
solle sich im Biologieunterricht der Schule melden und die Klasse
von der 6 Tage Schöpfung überzeugen. Dann bürdet
er u.U. seinem Kind eine schwere Last auf, unter der es leidet.
Da spürt man dann wieder den schädigenden Einfluss des
Fundamentalismus." - "Danke Saron, ich hatte gestern
ein wenig den Bezug zu unserer konkreten Situation vor Ort
vermisst. Du meinst also: wir sollen einander trotz
unterschiedlicher Auffassungen aushalten?" ,fragte jemand.
"Aushalten ist nicht das richtige Wort, positiver wäre
vielleicht: "einander in Liebe ertragen"(4) So steht es
in Gottes Wort." Saron nahm seine Bibel zur Hand und schlug
sie auf.
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