Der Grund des Verlangens

Lange schon war der Prinz in sein Schloss zurückgekehrt, doch noch immer quälte ihn der Gedanke an seine unglückliche Liebe. Warum nur hatte die Prinzessin ihn verschmäht? Warum verlangte sie nur nach schönen Frauen und seine Gaben bedeuteten ihr nichts?
Da er keine Ruhe fand, machte er sich eines Tages wiederum auf, die wunderschöne Prinzessin in ihrem märchenhaften Schloss zu besuchen. Schon von weitem leuchtete es ihm entgegen und er dachte an die Blumen in ihrem Park, die Orangen und den Lavendelduft, der ihrem Garten entströmte.
So klopfte er erwartungsvoll an das prächtige Eingangstor, das sich sogleich öffnete. Freundlich lud man ihn und sein Gefolge ein, am reichgedeckten Tisch Platz zu nehmen. Nur die Prinzessin erschien nicht.
Da ließ ihr der Prinz ein Geschenk zukommen: ein kleines goldenes Kästchen, worin sich einige der zartesten Endivienblätter befanden.
Er durchwanderte den Schlossgarten, roch hier und da an einer der Blüten und fand endlich eine kleine Rosenholzbank, die schon das Rot der untergehenden Sonne widerspiegelte.
Nicht wenig überrascht war er, als sich kurz darauf die Prinzessin zu ihm setzte und ihn mit einem unergründlichen Lächeln lange ansah.
"Du bist gekommen, den Grund zu erfahren?" sagte sie endlich. "Das ist gut. Denn nur wer die Gründe kennt, versteht das Ganze! Also. das Verlangen der Männer steht nach den Frauen, nicht wahr?"
"Ganz gewiss!" beeilte er sich zu erwidern und sie setzte mit leiser Stimme hinzu:
"Die Männer verlangen nach dem Ort zurück, der ihnen vor ihrem ersten Atemzug vollkommene Geborgenheit und Glückseligkeit gab. Daher können sie gar nicht genug von diesem Zuhause bekommen!"
Ungeduldig warf der Prinz ein: "Aber, teuerste Prinzessin, wie ist es nun um das Verlangen der Frauen bestellt? Bitte, sage es mir!"
"Die Frauen, ebenfalls auf der Suche nach diesem Zuhause, finden es in sich selbst und ihr größtes Glück ist es, es einem Manne zu gewähren!"
Die Prinzessin hatte sich erhoben und wollte davoneilen, als der Prinz, wie aus tiefem Schlafe erwacht, sinnend sagte: "Das also ist der Grund des Verlangens! ...... Aber sage mir doch, teuerste Freundin, was ist mit dir?"
Sie ging einige Schritte bis zu der kleinen weißen Pforte in der Mauer, drehte sich noch einmal um, sah den Prinzen mit einem langen Blick an und sagte dann leise:
"Nur was man gefunden hat, kann man auch gewähren. Ich suche noch mein Zuhause!"
Schnell schloss sie die Pforte hinter sich.
Und als der Prinz, der etwas verstanden hatte, anderntags zum Schloss zurückschaute, sah er ein goldenes Kästchen im Fenster der Prinzessin leuchten.

Hört mir zu, habt Vertrauen.
Nur die Ängstlichen ernten Angst.

© P. Eitner