Die Brombeerfeen

Eine Geschichte von saron

Große Freude durchzog den ganzen Wald: Lachen, Singen und Musik erklangen überall, und oben auf dem großen Feenhügel in der Mitte des Waldes, wo das große Fest stattfinden sollte, waren alle mit eifrigen Vorbereitungen beschäftigt. Kleine Tische wurden aufgebaut, an denen es die leckersten Köstlichkeiten zu essen gab: die Haselfeen hatten Haselnussstaub mit einer winzigen Menge Blütenstaub vermischt, das schmeckte ganz hervorragend, und die Holunderfeen verkauften Holundermark mit Honigkern, die Kornblumenfeen hatten viele geröstete Weizenkörner zubereitet und selbst die sonst so trägen Weißdornfeen hatten den leckersten Weißdornnektar mitgebracht. Jeder wollte etwas zu diesem wichtigsten Fest im Wald beitragen, zu dem alle eingeladen waren: die Feen, die Elfen, sogar die Trolle, Gnome und Schrate waren willkommen,nachdem sie vorher hatten feierlich schwören müssen, an diesem Tag zu jedermann lieb zu sein und niemanden zu ärgern oder ihm einen Streich zu spielen.


Das Schönste aber waren die Festkleider, die alle trugen: Trolle und Gnome hatten sich ordentlich geputzt, der eine oder andere hatte sich gar ein kleines Schmuckblümchen angesteckt. Selbst die kleinsten Wesen des Waldes trugen zur Farbenpracht bei. Die Schmetterlinge und Libellen hatten die lieblichsten Flügelchen, aber die Feen waren die Schönsten von allen. Da waren die Lilienfeen, deren Festkleider alle Farben der Welt widerspiegelten, und die Nachtkerzenfeen, in deren dunkle, aufregende Gewänder die Geheimnisse der Menschen eingewebt waren und die Rosenfeen mit ihren Duftkleidern, die man schon von weitem riechen konnte.
So bewunderten sich alle Wesen gegenseitig, lachten, erzählten und warteten am Rande des großen Tanzplatzes, der etwas eingesenkt in der Mitte des Feenhügels lag, auf den Beginn des großen Reigens.


Da kamen einige Brombeerfeen herbeigeflogen in ihren blauen Kleidchen. Sie hatten blaue Flügelchen, blaue Schühchen und sogar blaue Haare und waren noch kleiner als die Rosenfeen. „Seht,“ sprachen die Tulpenfeen,“wie langweilig die aussehen, alles blau!“ Und die bunten Stiefmütterchenfeen riefen vorlaut: „Geht nach Hause! Ihr seid gar nicht schön! Jedenfalls nicht so schön wie wir. Solche wie euch brauchen wir hier nicht!“ Bei den Feen ist es gelegentlich wie bei den Menschen: jeder will der Beste sein und ist einmal jemand ein wenig anders, fallen alle über ihn her und tun ihm weh.

Und mitgebracht haben die auch nichts! Wollen sich wohl auf unsere Kosten satt essen!“ riefen ein paar Gnome, die ganz vergessen hatten, dass auch sie nichts mitgebracht hatten. Und als die kleinste der Brombeerfeen anfangen wollte zu weinen, weil sie sich doch so auf das Fest gefreut hatte, sagte einer der Trolle: „Seht nur, was für ein jämmerliches Gesicht sie machen, die passen nicht auf unser Fest!“ Da drehten sich die Brombeerfeen um und flogen schweren Herzens fort, denn sie wollten nicht, dass es ihretwegen Streit geben sollte.
Plötzlich ging ein Raunen durch den Wald, alle Stimmen wurden leiser und jeder versuchte, über den anderen hinweg zum Ende des Tanzplatzes zu schauen.
Denn dort stand Elfenkind.
Sie hatte das wunderschöne, aus den guten ausgeträumten Träumen der
Menschen gewebte Kleid an, das in so vielen Farben schimmerte; mal schien es ganz golden zu sein, mal war es weiß wie Schnee mit eingewebten Goldfäden.
Elfenkinds rötliche Haare schimmerten sanft in der Abendsonne, und als sie den Kopf ein wenig neigte, um den Musikanten ein Zeichen zu geben, begannen die Grillen zu zirpen, die Vögel zwitscherten und der Specht schlug den Takt dazu. Und alle, alle drängten auf die Tanzfläche und es wurde ein sehr schönes und fröhliches Fest, das bis zur Mitternacht dauerte bis der Mond schon hoch am Himmel stand. Aber als die Kirchturmuhr in der nahen Menschenstadt zwölf Mal schlug, wurde es ganz still auf dem Feenhügel.

Elfenkind sagte leise:“Ihr wisst, dass ich jetzt zur Traumfee gehen muss, die am Ende des Waldes wohnt. Ich werde ihr dieses aus den guten ausgeträumten Träumen der Menschen gewebte Kleid zurückbringen und ein neues aus anderen Träumen gearbeitetes von ihr bekommen. Denn die Menschen sind eigenartige Wesen, sie hängen an ihren alten Träumen, diese werden dadurch wieder die neuen und so geht es Jahr um Jahr. Bis zum Morgengrauen muss ich dieses Kleid wieder abgeben.“ Da wünschten alle Elfenkind viel Glück, einige flogen nach Hause und andere feierten noch ein wenig.

Elfenkind aber machte sich auf den Weg ans Ende des Waldes und nur ein paar Glühwürmchen begleiteten sie, um ihr den Weg zu leuchten. Nachdem sie eine Weile gegangen war, wurde sie müder und müder und weil da gerade so viel Moos wuchs, legte sie sich einen Augenblick hin, nur um ein wenig auszuruhen. Doch sogleich fielen ihr die Augen zu, und sie schlief ein. Aber was war das? Als sie aufwachte, konnte sie sich nicht mehr richtig bewegen. Irgendwer hatte ihre Arme festgebunden, ihren Kopf konnte sie nicht drehen und sogar ihre Beine hingen fest. Und im fahlen Licht des Mondes erkannte sie: die Brombeeren hielten sie gefangen.

Sie hatte sich neben einem Brombeergestrüpp ausruhen wollen, und die Ranken waren aus irgendeinem Grunde in der Nacht so gewachsen, dass sie unter ihnen gefangen lag. Sie versuchte, sich zu befreien, aber je mehr sie zog und bog, desto tiefer drangen die Dornen in ihr Kleid und drohten, es zu zerreißen. Das durfte aber auf gar keinen Fall geschehen, denn dann wären einige Träume für immer verloren und die Menschen brauchten sie doch. Elfenkinds Kraft ließ nach, ein paar Tränen fielen auf das zarte Moos und die Bäume des Waldes erzitterten und warfen ein paar Tautropfen auf ihre wunden Händchen. Hatte nicht Saron, der Zauberer, sie vor den Brombeerranken gewarnt? Aber sie hatte doch keinen Fehler gemacht und nun lag sie hier so ganz alleine. Manchmal macht man gar nichts falsch und gerät doch in eine große Not. Aber alleine ist man nie! „Bleib ganz still liegen! Wir helfen Dir!“ wisperte ein dünnes Stimmchen neben ihr und dann bemerkte sie, dass viele kleine Brombeerfeen, die ja nicht bei dem Fest mitmachen durften, unter dem Gebüsch hervorkrochen und sogleich begannen, aufgeregt zwischen den Ranken hin- und herzufliegen. Sie konnten das, weil sie viel kleiner waren als Elfenkind, und sie lösten unter großer Anstrengung das Kleid von den Dornen. Sie zerstachen sich dabei ihre kleinen Fingerchen, und die blauen Kleidchen bekamen so manchen Riss. Sie mussten alle Kraft aufbieten, um die schweren Brombeerzweige hoch zu biegen, damit Elfenkind aufstehen und auf den Weg zurückgehen konnte. „Warum habt ihr das getan?“ fragte Elfenkind die kleinen Feen und streichelte ihre zerstochenen Händchen. „Weil wir Dich doch so sehr liebhaben, flüsterte die kleinste der Feen, die auf dem Fest geweint hatte. „Und warum ward ihr nicht auf unserem schönen Fest“, erkundigte sich Elfenkind weiter. „Wir wollten nicht stören!“ sagten sie leise.
Da verstand Elfenkind und versprach ihnen, im nächsten Jahr nur mit ihnen zu tanzen, dann würden die anderen ihre Meinung zu den Brombeerfeen schon ändern. Denn bei den Feen ist es wie bei den Menschen: Selbst der, der nur mit einem angesehenen Mann befreundet ist, gilt als angesehen.

Und Elfenkind und alle Brombeerfeen fassten sich an und tanzten einen Reigen. Dann bedankte sie sich noch einmal bei den kleinen Feen und wanderte weiter, um bei Sonnenaufgang bei der Traumfee zu sein. Und solltest du dich einmal gar nicht mehr an einen schönen Traum erinnern können, dann ist vielleicht gerade an dieser Stelle Elfenkinds Kleid ein wenig zerrissen.

Als Elfenkind in ihrem neuen Kleid zum Bach zurückkam, lag auf ihrem Lieblingsplatz eine blaue Spange mit einer blauen Blume.

Elfenkind steckte sie in ihr Haar.

© 99 M. Latz (Bilder)

© 99 P. Eitner (Text)