Die Diebe der Kleider

Fast war es schon Frühling, die Knospen an den Ästen der Bäume wurden größer und größer, grüne Blätter schoben sich aus dem braunen Waldboden und überall roch es nach ... na ja, sicher weißt du gut, wie der Frühling riecht. Es war noch sehr früh am Tage, die Feen schliefen unter den Zweigen und auf den Bäumen, während die Trolle und Schrate in ihren Höhlen schnarchten, dass man hören konnte, wie zufrieden sie waren. Die ersten Sonnenstrahlen fielen goldgelb durch die noch blätterlosen Bäume, als Elfenkind sich auf den Weg zum Meer machte. Sie liebte es, so früh am Morgen durch den Wald zu gehen und zu schauen, wie gerade diese Strahlen das Wasser küssten, so dass sich seine Farbe in Gold zu verwandeln schien.

Sie beeilte sich, diesen Augenblick nicht zu verpassen, als sie plötzlich ein leises Wimmern hörte, das unter einem großen Bollropblatt hervorkam. Erschrocken blieb sie stehen und lauschte: da war es wieder, es klang wie ein leises, trauriges Seufzen, das ganz tief aus dem Herzen kommt. Elfenkind bückte sich und schaute unter das Blatt. Da lag eine kleine Fee, sie hatte kein Kleid an und es schien, als habe sie auch keine Flügel. Vorsichtig zog Elfenkind sie unter dem Bollropblatt hervor und fragte erstaunt: „Ich bin Elfenkind und wohne hier im Wald. Aber sag, wer bist du? Nie zuvor habe ich dich in unserem Wald gesehen!" Die Fee sah sie aus großen aufgeschreckten Augen ängstlich an und erwiderte dann zögernd: „ Ich..., ich komme von den Menschen. Bin fortgelaufen. Bitte, bitte, tu mir nichts!" Und wie schützend hob sie die Arme vor ihr Gesicht. „Ich tue dir nichts und in diesem Wald wird dir niemand etwas zuleide tun!", entgegnete Elfenkind und strich der Kleinen liebevoll über das Haar. Dann nahm sie ihren wunderschönen Schal, in den zwei Fäden des Mondlichtes eingewebt waren, und hüllte das kleine Wesen darin ein. „Von den Menschen kommst du, so, so, dann sage mir aber, warum hast du kein Kleid an und wo sind deine Flügel?" Elfenkind erkannte wohl, was geschehen war, aber sie wusste auch, dass es jemandem, der traurig ist, gut tut, über den Grund seiner Traurigkeit zu reden.

Und mit leisem, kaum hörbaren Stimmchen antwortete die kleine Fee: „Die Menschen nahmen mir mein Kleid fort und sagten, ich solle für sie tanzen. Aber ich fror, denn es war kalt, doch sie lachten nur und sagten, es sei gut so. Manchmal brachten sie mir neue Kleider, die sie aber schon bald wieder wegnahmen und ich glaube, sie taten das, nur um mich zu ärgern"
Elfenkind nahm die Hand der kleinen Fee und ermunterte sie fortzufahren.
„Ich konnte schon bald nicht mehr fliegen, es war so kalt, meine Flügel verkümmerten, aber weißt du, Elfenkind, was das Allerschlimmste ist?" Und nun liefen die Tränen wie gläserne Perlen über das blasse Gesichtchen: „Die Männer dort haben mir auch all meinen Feenstaub weggenommen.... und den darf doch keiner wegnehmen... den darf man doch nur verschenken, nicht wahr?" Dabei öffnete sie ihre andere Hand, in der ein samtrotes Beutelchen war und hilflos zeigte sie Elfenkind, wie leer es war.

Es war einen Augenblick ganz still, denn auch Elfenkind waren die Tränen gekommen, doch dann antwortete sie: „Weißt du, kleine Fee, einige Menschen sind sehr töricht. Bei ihnen ist es anders als bei uns Feen: sie wissen nicht, was wirklich gut für sie ist und daher tun sie manches, das ihnen später selbst schadet! Aber nun bist du hier bei uns und ein paar Kleider werden sich schon finden lassen!" Inzwischen waren einige Feen und Trolle herbeigekommen, die neugierig, wie sie nun einmal sind, den letzten Satz des Gespräches gehört hatten. Die Trolle murmelten etwas von „Schmarotzerin!" - „Hat doch selbst Schuld, was will sie denn bei den Menschen, weiß doch jeder wie die sind!" Aber Feen wissen, dass große Worte niemanden wärmen und es müßig ist nach Gründen für Fehler zu suchen, wenn jemand vor einem steht, der Hilfe braucht, und so liefen die Brombeerfeen los und besorgten Fäden aus den grünen Blättern der Brombeerranken, die Haselfeen brachten ein hübsches Geflecht aus Haselblüten und sogar die stolzen Lilienfeen steuerten einige Lilienblütenfäden bei. Sogleich wurden die Webstühle hergerichtet und ein allerliebstes Kleid für die kleine Fee gewebt. Als diese es angezogen hatte, freute sie sich über die Hilfsbereitschaft, und die Feen bewunderten laut ihr eigenes Werk, denn viele von ihnen sind ebenso eitel wie die Menschen.

Aber Elfenkind drängte zum Aufbruch. "Komm´" ,sagte sie zu der Kleinen, „wir müssen zu der alten weisen Fee gehen, die mein Kleid aus den ausgeträumten Träumen der Menschen webt. Saron, der Zauberer ist nicht hier und so wollen wir sie um Rat fragen, wie du wenigstens etwas von deinem Feenstaub wiederbekommen kannst." - „Geht denn das?", fragte die Kleine verwundert ; Elfenkind nickte und dann gingen die beiden Hand in Hand die Waldwege entlang, kletterten über umgefallene Bäume und spürten das weiche Moos unter den Füßen. Endlich langten beide bei der alten Fee an, die am Ende der großen Treppe wohnt, und erzählten ihr die ganze Geschichte und trugen ihren Wunsch vor.
Lange wiegte die Alte ihren Kopf:
„Schlimmes, Schlimmes ist dir widerfahren, kleine Fee, aber so leid es mir auch tut, Feenstaub kann ich dir nicht geben. Jeder besitzt nur eine bestimmte Menge für sich und kann niemand anderem damit aushelfen. Du selbst, nur du selbst allein kannst ihn in deinem Beutel nachwachsen lassen."
Dann schloss sie ihre Augen und es sah aus, als wolle sie einschlafen. „Bitte", riefen Elfenkind und die kleine Fee fast gleichzeitig, „Bitte sage uns doch, wie das geht!"
Die weise Fee blinzelte ein wenig mit den Augen: „Das weißt du doch, Elfenkind: Wer liebt und gibt, bekommt!" Dann schloss sie die Augen und sagte gar nichts mehr. Wer liebt und gibt, bekommt? Elfenkind selbst hatte diesen Rat einmal einer kleinen Haselfee gegeben.
Aber was nützt langes Grübeln, die beiden machten sich auf den Rückweg, um nicht im Dunkeln über Baumwurzeln zu stolpern. Als sie gerade über ein grünes Moospolster stiegen, sahen sie einen Käfer, der verzweifelt mit seinen Beinchen in der Luft ruderte, weil er sich nicht umdrehen konnte. „Bitte ihr Feen, helft mir", rief er und sofort eilte die kleine Fee zu ihm und setzte ihn wieder auf die Füße. Dabei fiel ihr der Samtbeutel aus der Hand. Als sie ihn aufhob und zufällig hineinsah, bemerkte sie in der untersten Ecke ein winzig kleines Stückchen Feenstaub. Überglücklich lief sie zu Elfenkind, umarmte sie wieder und wieder und rief:

Danke, Danke, dass du mir geholfen hast, ich habe dich sehr lieb!"
Ich habe dich auch sehr lieb!" ,erwiderte Elfenkind und setzte leise hinzu:
„Gut, dass du weggelaufen bist!"

Die beiden gingen weiter. Die Sonne schwand.
Doch die Strahlen des Mondlichtes in Elfenkinds
Schal glänzten heller und heller, je dunkler es wurde.

Und der kleinen Fee juckte und zuckte es zwischen
den Schultern, als würden ihr neue Flügel wachsen.

Vielleicht hast du Ähnliches erlebt und suchst jemand wie Elfenkind, der mit dir redet, dir beisteht?

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©P.Eitner2004



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