- Es
gibt Tage, da freut man sich über alle Maßen und
könnte vor Kraft zerspringen. Es gibt aber auch Tage der
Traurigkeit, da weiß man sich keinen Rat mehr. Solche Tage
waren im Feenwald eingezogen: die Gnome waren mürrisch und
gereizt und gar nicht freundlich, wenn man sie ansprach; die
Trolle starrten still vor sich hin, als ob es da etwas
Besonderes zu sehen gäbe. Ja, selbst die Feen ließen
ihre Flügel hängen und machten Gesichter, als ob es
zehn Tage geregnet hätte. Wie ein Nebel krochen Mut- und
Ratlosigkeit durch den Wald und umhüllten jedes Wesen.
Als
nun Elfenkind den Weg durch den Wald herunterkam, fragte sie
eine Haselfee, der sie begegnete: “Was ist geschehen? Sag,
kleine Haselfee, warum bist du so traurig?“ - „Es
ist doch immer dasselbe, uns schmeckt der Haselnussstaub nicht
mehr!“ jammerte die kleine Fee und als Elfenkind einigen
Gnomen die Frage nach dem Grund ihrer Gereiztheit stellte,
zischten diese nur: „Es ist alles so langweilig. Immer nur
Rosenfeen zu ärgern macht auf die Dauer auch keinen Spaß!“
und die Kornblumenfee meinte, das ewige Herumfliegen sei doch
ganz und gar nutzlos und würde niemandem etwas bringen. -
Als
am Nachmittag die Sonne noch hoch am Himmel stand, kamen Boten
aus Dunkelwald, die alle Feen, Tiere und die anderen Wesen des
Waldes einluden, mit ihnen nach Dunkelwald zu kommen, denn da
ginge es jeden Tag lustig zu und alle seien fröhlich. Als
einige Feen sofort anfingen, ihre Koffer zu packen, und die
Hamster sich die Backen mit Vorräten vollstopften, wusste
sich Elfenkind keinen anderen Rat mehr, als zu Saron, dem
Zauberer, zu gehen.
Der Weg dahin führte durch ein
großes Tal und dann weit hinauf zu den Bergen. Er war
beschwerlich und ziemlich weit für ein Elfenkind. Aber
sie dachte an all die traurigen und verzagten Wesen des Waldes
und daraus schöpfte sie Kraft, immer weiter zu gehen. Je
näher sie dem Berg kam, auf dem Sarons Schloss thronte,
desto steiniger und steiler wurde der Weg. Schon lange war sie
nicht mehr hier oben gewesen, hatte sie doch Saron des öfteren
im Wald und am Strand getroffen. Einmal war er sogar zu ihr an
den Bach gekommen und sie hatten vieles besprochen. Aber jetzt
war er nicht im Wald und Elfenkind musste an das Sprichwort
denken: wenn man jemanden braucht, dann ist er nicht da. Sich
wundernd, wie klar die Luft hier oben war, gelangte sie
schließlich an das große Tor, das Sarons Welt vor
den Augen derjenigen verbarg, die nicht mit dem Herzen sehen
können. Sie erblickte den großen eisernen
Türklopfer, sooft sie sich aber anschickte, das uralte Ding
zu bewegen, es gelang ihr nicht. Aber während sie noch
überlegte, ob sie die Mauer entlanggehen und nach einem
anderen Eingang suchen sollte, fand sie sich plötzlich
unversehens in einem wunderschönen Garten auf einer weißen
Bank wieder. Neben ihr saß Saron.
„DU musst
nicht durch das Tor gehen, Elfenkind“, sagte er lächelnd
und sah sie freundlich an, „für dich gibt es andere
Wege! Aber es ist gut, dass du gekommen bist, mich nach dem
Grund der Traurigkeit zu fragen, die sich im Feenwald
ausgebreitet hat.“ Sie war nicht einen Augenblick erstaunt
darüber, dass er schon wusste, was sie fragen wollte. „Es
gibt eine grundlose Traurigkeit“, erwiderte er, „die
hin und wieder Wesen befällt, die alles haben, und denen es
eigentlich gut gehen sollte, also forsche nicht nach der
Ursache, sondern gehe jetzt zu den Waldwesen und befreie sie
davon!“ Saron hatte sich erhoben und schien davongehen zu
wollen. Da sprang Elfenkind auf und packte ihn am Ärmel
seines Gewandes. „Aber wie, wie soll das geschehen?“
rief sie aufgeregt, denn sie dachte daran, dass die ersten sich
sicher schon aufgemacht hatten, nach Dunkelwald zu ziehen. Die
Zeit drängte. „Bitte, Saron, ich weiß, du
kannst zaubern, sage mir doch, was ich tun soll!“ Flehend
sah sie ihn an. Doch er schien abwesend, begleitete sie den
kleinen Weg zum Tor. Dabei murmelte er etwas wie: „Es
ist in dir. Du wirst wissen, was zu tun ist.“ Elfenkind
wunderte sich über Saron. Warum schickte er sie so fort?
Warum gab er ihr keinen Rat. Warum zauberte er nicht? Gemeinsam
standen sie am Tor. Zum Abschied reichte sie Saron ihre kleine
Hand und er nahm sie in die seine. Dann zog er sie ganz nah an
sich heran, so dass sein Bart ihre Wange kitzelte. „Vertrau
mir“, sagte er leise und Elfenkind lief mit klopfendem
Herzen den Weg hinunter, der Steine nicht achtend, stieß
mit ihren Füßen immer wieder an und erreichte, als
die Sonne schon groß und dunkelrot am Himmel stand, den
Feenwald. Immer noch klopfte ihr Herz und sie spürte das
Kitzeln auf ihrer Wange. Da begann sie zu singen.
Erst
ganz leise, dann immer lauter und so klar, dass es bis in den
hintersten Winkel des Waldes zu hören war. Ganz tief aus
ihrem Inneren drang es hervor: Worte, die sie nicht verstand,
eine Melodie, die sie nicht gelernt hatte. Die Bäume
hörten auf zu rauschen, die Vögel zwitscherten nicht
mehr und der klare Bach murmelte nicht mehr. Elfenkind war auf
einen moosigen Baumstumpf gestiegen und sang und sang......
Und
alle Wesen des Waldes kamen aus ihren Behausungen und lauschten.
Niemand arbeitete oder sprach. Alle lauschten den Tönen, die
wie Schmetterlinge herbeigeflogen kamen und wieder schwanden,
zerbrechlich und stark zugleich. „Hört ihr, sie
singt für uns!“ ,flüsterten einige Haselfeen,
„Lasst uns ihr ein Mahl bereiten aus Haselnussstaub!“
- „Seid still“, fauchten einige Gnome, „wir
wollen alles hören. Ist es nicht schön in unserem
Wald?“ Ihre Gesichter wurden immer heller. „Wir
bleiben hier!“, riefen die Trolle, „dieser Wald ist
der beste!“ und sie machten sich auf, die Rosenfeen zu
ärgern – wenigstens ein bisschen. Und die Feen
fassten sich bei den Händen und schworen, niemals diesen
wunderschönen Wald zu verlassen, sollte doch kommen, was
wollte. Und sie spürten, wie wichtig ein jeder von ihnen
war. So wichtig wie du und ich und alle diejenigen, mit denen wir
zusammen leben. Doch Elfenkind hörte auf zu singen, stieg
von dem moosbedeckten Baumstumpf herunter und ging nicht zu den
anderen. Sie gelangte zu ihrem Platz am Bach. In ihren Tränen
spiegelte sich der silbrige Mond. Still stand sie am Wasser, kaum
ahnend, was ihr widerfahren war.
„Weil
ich dich liebhabe...“, flüsterte sie mit kaum
hörbarer Stimme.
Und
der Bach murmelte wieder, der Wind rauschte in den Bäumen
und der Nachtvogel stieß einen schrillen Schrei aus.
Doch
Elfenkinds Herz klopfte.
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