Abgeschickt von Manuel H. am 19 Maerz, 2002 um 22:54:23
Antwort auf: Splitting answer von Dinosaurus am 19 Maerz, 2002 um 09:09:46:
Mein lieber Dinosaurus,
so langsam scheinst Du ja das Problem auf den Punkt zu bringen. Du äußerst herbe Kritik am Christentum, wobei Du immer wieder auf die Worte Deschners verweist. Darüberhinaus hast Du mit der Auflistung der gesammelten Kommentare zu Deschner als separaten Forumsbeitrag einen Beitrag geleistet, den es sich zu lesen lohnt, da Du dort auf Deine eigenen beleidigenden Kommentare verzichtet hast. Glückwunsch!
Soweit ich die Kommentare zu Deschner habe verstehen können, kritisiert er die gesamte Kirchengeschichte der vergangenen Jahrhunderte bzw. Jahrtausende. Natürlich beruht das Christentum auf dem Vorangegangenen. Das muss aber nicht heißen, dass das heutige Christentum sich ebenso mit allen vorangegangenen Schändlichkeiten identifizieren muss (vor allem was Deschners Kritik an der katholischen Kirche betrifft). Es ist wohl so einiges falsch gelaufen, was natürlich auch in gewissem Maße von einem Mitläufertum ermöglicht wurde. Selbst über die Rolle der Bibel gibt es ja die verschiedensten Ansichten. Zum einen hat es lange Zeit keine für das Volk verständliche Übersetzung gegeben, zum anderen werden die Worte der Bibel in die verschiedensten Richtungen interpretiert. Dann sei noch zu erwähnen, dass die Bibel ja auch nur von Menschenhand erschaffen und überliefert wurde, und sie hat vielleicht eher den Charakter eines Märchenbuches mit guten und bösen Charakteren. Dennoch finde ich, sie kann sehr lehrreich sein, wenn man nur selbst mitdenkt, vielleicht über die kontroversen Aussagen schmunzelt, oder vielleicht beim Lesen des Buches Prediger über die absolute Sinnlosigkeit der Existenz verzweifelt. Fakt ist, dass es auch in der Bibel einige kriminelle Aussagen gibt. Nicht zuletzt die Kritik an der in den Medien dargebotenen wörtlich interpretierten Variante "Kraft zum Leben" zeigt die Gefahren auf, die dem Menschen bei Einhaltung des Buches drohen. Auch die Gesellschaftsanschauungen der damaligen Zeit sind gewissermaßen überholt, weshalb eine wortwörtliche Interpretation in vielen Fällen gar nicht mehr gerechtfertigt ist.
Die Existenz eines Gottes lässt sich gewissermaßen als Rousseau'sches Postulat ansehen. In seinen Gedanken zur Staatslehre und Sozialphilosophie stellt er zur Festigung des Staates (bzw. des friedlichen Zusammenlebens der Menschen in einem Staatsgefüge) die Forderung nach einer Staatsreligion, die aus vier Artikeln besteht: 1.) Dasein Gottes, 2.) Vergeltung nach dem Tode, 3.) Heiligkeit der Staatsverfassung und der Gesetze und 4.) Ausschließung der Intoleranz. Jeder Bürger solle zu dieser Staatsreligion verpflichtet sein, ansonsten werde er aus dem Staat verbannt. Wenn das mal keine Gewaltherrschaft ist... Eine Gesellschaft kann freilich gut und gerne ohne einen solchen Glauben bestehen, denn allzuleicht macht sich die Kirche die menschliche Angst vor der Vergeltung zunutze und reißt so die Ruder des Staatsschiffes an sich.
Deschner sieht in der Entzauberung dieses Mythos vom seligen und seligmachenden Christentum nicht die Notwendigkeit eines neuen Mythos, wie ich Deinen Zitaten entnehmen konnte. Die Entzauberung ist nach Deschner ein Akt der Vernunft, da zum einen die Kirche lang genug Schindluder mit den dummen Gläubigen getrieben hat, zum anderen der Glaube an Jesus Christus als Messias in seiner märchenhaften Gestalt wohl absolut lächerlich ist. Den faulen Zauber des Mythos vermag der Christ dabei nicht selbst aufzulösen, weshalb also ein Außenstehender die Vernunft des Verzauberten erwecken und damit sein Ablassen vom Glauben hervorrufen muss. Nicht umsonst wird ein Glaube ja auch als "Opium für's Volk" bezeichnet, ein Rauschmittel also, das ihn wie durch Zauber ruhig hält, und von dem er sich nicht selbst wieder befreien kann.
Wie gesagt, sieht Deschner das Entstehen eines neuen Mythos nach dieser Verzauberung nicht als notwendig an. Das heißt aber nur, dass ein Gottglaube nach der Ablegung des kritikbehafteten Christentums nicht zwingend entstehen muss, aber immerhin kann und vielleicht auch darf oder gar sollte. Die christliche Lehre im eigentlichen Sinne enthält eine Art Werteaufstellung, also Moral des Zusammenlebens, und den "Mythos" des gemeinsamen Glaubens an Gott und Jesus als Messias. Über die Basis des menschlichen Zusammenlebens hinaus, nämlich das Vorhandensein einer gemeinsamen Moral, liefert die Lehre den gemeinsamen Glauben. Man sollte sich darüberhinaus bewusst sein, dass ja all unser Wissen nur ein Glauben ist. Verschiedenen Theorien zufolge bringt nur die Logik der Vernunft die wahre Erkenntnis. Kann der aufgeklärte Mensch von heute den metaphysischen Gottglauben akzeptieren? Jeder Mensch stößt einmal auf Dinge, die er nicht versteht, forscht etwas nach, erhält eine Antwort und mit der Zeit eine neue Frage. Kann die Frage nach Gott als ewige Frage und damit als unlösbares Problem akzeptiert werden? Die Sache mit der Angst vor der Vergeltung nach dem Tod zieht wohl heute nicht mehr. Außerdem ist die Macht der Kirche im modernen Staat nicht mehr unbeschränkt. Der Glaube rechtfertigt sich also an anderen Motiven. Der Glaube ist ein Teil der Lebenseinstellung und auch ein Stück Kultur.
Auch wenn es Gruppen von Menschen gibt, die einen Glauben teilen, so ist doch jeder Mensch dieser Gruppe ein Individuum und macht sich mehr oder weniger eigene Gedanken. Der Glaube ist das, was man daraus macht. Und wie Deschner schon sagte: jeder Christ soll seinen Glauben auskosten. Es gibt einen sarkastischen Witz darüber, wie ein Mensch sich nach seinem Tod ein Bild vom Himmelreich und von der Hölle macht, um den geeigneten Platz für das nun vor ihm liegende "ewige Leben" auszusuchen. Mit dem Himmel ist er schon ganz zufrieden. Und als er die Hölle besuchen geht, ist er zunächst völlig verdutzt, da sie völlig den ihm überlieferten Vorstellungen widerspricht, ja sich sogar mit dem Himmelreich messen lassen kann, was ihn begeistert. Lediglich durch ein Astloch einer Holzwand erblickt er eine Gruppe von Menschen, die gequält und gefoltert werden, wie er sich das vorgestellt hat, und er fragt: "was ist denn dort los?" worauf er als Antwort bekommt: "Ach, das sind die Katholiken, die wollen das so...".
Uns Menschen wird ein Glaube von den Vorfahren überliefert und auf den Lebensweg mitgegeben, dessen Aufgabe es wohl ist, uns mit Hoffnung zu erfüllen, wenn es einmal nicht so gut läuft, uns einen Freund namens Gott an die Hand zu geben, der uns begleitet, wenn wir einmal allein sind. Ein Glaube verändert sich im Laufe der Zeitalter. Heutiges Christentum ist nicht dem Christentum im Mittelalter gleichzusetzen. Auch gibt es Gruppen, die sich mit dem ihnen überlieferten Glauben nicht mehr zufriedengeben, sondern sich in der Anschauung von den Vorfahren lösen. Vor allem steckt im Glauben und seiner Hoffnung ein gewisses Maß an Optimismus. Und was das Bekehren betrifft: jeder denkende Mensch stößt, nachdem er seinen Glauben als Kind einfach nur angenommen hat, sicher einmal auf die Frage: "Was ist Gott? Gibt es ihn wirklich?". Und dies ist der entscheidende Scheidepunkt, an dem der Mensch für sich entscheidet, wie er seinen Glauben definiert, ob er ihn für möglich hält, ob er ihn verändern, beibehalten oder ablegen will. Ein Glaube kennzeichnet sich durch solche Gefühle wie Vertrauen, Freundschaft oder gar Liebe. Ein Glaube, der nicht der Moral entspräche, wäre unmenschlich und könnte kaum als solcher akzeptiert werden.
Lass mich Dich abschließend noch eine Frage stellen. Du hast Dein Handeln einmal damit gerechtfertigt, dass Du durch den Widerstand der Glaubenserziehung gegenüber mehr Leistung erbracht hast als jemand, der sich hier bloß als Mitläufer verhalten hat. Siehst Du Dein Folgen der antichristlichen und atheistischen Bewegung und die Verehrung Deschners etwa nicht als Mitläufertum an?
MfG,
-Manuel