Abgeschickt von Manuel H. am 05 Mai, 2001 um 15:33:58
Antwort auf: Re: Originaltext von damals von manowa am 03 Mai, 2001 um 01:48:22:
Hallo manowa,
was ich unter dem "Spirituellen" verstehe, lässt sich mit der Summe aus Kants "Verstandeswelt" und seinem "Ding an sich" vergleichen. Ich bin einmal seinen Text durchgegangen, in dem er diese Begriffe einführt.
Neben seiner Unterscheidung zwischen "Ding in der Erscheinung" und "Ding oder Wesen an sich selbst" unterscheidet Kant zwischen "Sinnenwelt" und "Verstandeswelt". Beide Welten sind voneinander unabhängig. Das "Ding in der Erscheinung" ordnet er der Sinnenwelt unter, allerdings bin ich mir bei seinem "Ding an sich" nicht ganz sicher, in welche Beziehung er dieses zur Verstandeswelt setzt.
Die Sinnenwelt wird von unseren Wahrnehmungen geprägt, und alles darin unterliegt den Naturgesetzen. Sie beruht also auf empirischen Erkenntnissen.
Zur Verstandeswelt gehören bei ihm Begriffe wie "Vernunft" und "freier Wille". Ohne seine Verstandeswelt könnte die Moral nicht existieren.
Die Summe aus Sinnen- und Verstandeswelt formt bei ihm das Individuum.
Du behauptest, dass das, was wir erfahren, ein Teil von uns selbst sei und in der Welt des "Dinges an sich" nicht existiere. Was aber meinst Du mit "ein Teil von uns selbst" ? Ist es vielleicht Kants Summe aus Sinnen- und Verstandeswelt? Die Sinnenwelt allein kann es schließlich nicht sein, denn in uns geht mehr vor sich als nach bloßen Naturgesetzen. Du kannst meinetwegen materialistisch gesehen die Handlungen eines jeden anderen Menschen als Folgen aus den Naturgesetzen ableiten - schließlich existieren Deine Mitmenschen nur in Deiner Sinnenwelt, in der alles geregelt vor sich geht. Aber in Dir selbst gibt es noch die Verstandeswelt! Ich hoffe, Du möchtest diese nicht auch noch der Sinnenwelt unterordnen. Die Verstandeswelt ist das "Mehr", von dem ich geredet habe, und bildet in meinen Augen einen Teil des Spirituellen. Ich gebe zu, der Glaube an das Spirituelle ist eine Entscheidungsfrage, aber die von der Sinnenwelt unabhängige Verstandeswelt ist doch die mindeste Voraussetzung für einen Sinn des Ganzen!
Zunächst kannst Du Dich persönlich als "Phänomen in der Sinnenwelt" betrachten, wie es Kant auch nennt, schließlich besteht sogar die Möglichkeit, dass Du in jedem deiner Mitmenschen eben diese Vorgänge vermutest. Nach Deinem Beispiel mit den Seifenblasen klingt es doch sogar logisch! In jeder Seifenblase kann sich ein eigenes Individuum mit seiner eigenen Sinnenwelt und Verstandeswelt befinden, oder etwa nicht? Natürlich beruht diese Vermutung auf Deiner Sinnenwelt, die Dich auch täuschen kann. Aber es ist wohl Deine einzige Chance, daran zu glauben.
Hast Du eigentlich schon einmal in der Bibel das Buch "Prediger" gelesen? Es geht jedenfalls darauf hinaus, dass eigentlich alles sinnlos ist, und je mehr wir darüber nachdenken, desto verwirrter mag es uns scheinen... An einer Stelle heißt es:
"Darum iss dein Brot und trink deinen Wein und sei fröhlich dabei! So hat es Gott für die Menschen vorgesehen, und so gefällt es ihm. Nimm das Leben als ein Fest: Trag immer frisch gewaschene Kleider und sprenge duftendes Öl auf dein Haar! Genieße jeden Tag mit der Frau, die du liebst, solange dieses flüchtige Leben dauert, das Gott dir geschenkt hat. Denn das ist der Lohn für die Mühsal dieses Lebens. Nutze alle Möglichkeiten, die sich dir bieten; denn du bist unterwegs zu dem Ort, von dem keiner wiederkehrt. Wenn du tot bist, ist es zu Ende mit allem Tun und Planen, mit aller Einsicht und Weisheit."
Den technischen Fortschritt möchte ich an dieser Stelle einmal vor den obigen Worten verteidigen: Es ist, denke ich, ganz gut so, dass sich die Menschheit "weiterentwickelt". So wird es uns nicht langweilig, oder? Fühlen wir uns nach erfolgreich abgelegter Arbeit nicht irgendwie besser? Es muss auch einmal ein Kontrast da sein, damit wir den Unterschied bemerken, so ähnlich, wie z.B. in der Physik in einer Spule nur dann eine Spannung induziert wird, wenn sich das Magnetfeld ändert.
MfG
Manuel