Die
Klinik
Es war Nachmittag und das
Sonnenlicht flutete durch den großen orangenen
Aufenhaltsraum der Station, die Leute hatten sich auf ihre
Zimmer verzogen oder saßen qualmend im Fernsehzimmer. Am
Nachmittag war Schwimmen angesagt. Mit einem Kleinbus der
Anstalt sollten wir in die Schwimmhalle nach Diekirch fahren. Es
war ein trüber Tag, kein Geld, keine Familie, kein Job,
keine Wohnung,die Kleider am Leib, gehetzt und geschunden vom
Leben, keine Zukunft, keine Aussicht, kein Trost. Aus dem
Fenster draußen konnte man das Hochhaus sehen mit seinen 7
Stockwerken voller Stationen für die Gestrandeten und
Verzweifelten. Gegenüber die alten Kasernen, von denen
manchmal stumme Verzweiflung herüberwehte, ein sprachloses
Stöhnen, das ein Ende von Humanem bedeutete. In den Büros
gelangweilte Pfleger, die ihren Dienst absaßen,manchmal
ein etwas emsiger Arzt, der sich erkundigen kam, dann die
Abfütterung mit Pillen und Tropfen wie Schafe, die ihre
Hinrichtung entgegennehmen, werden die Pillen geschluckt, die
Lotionen getrunken, wenige Worte stören den Friedhof.
Vielleicht der Klang des Fernsehers bringt noch Athmosphäre
in den Raum oder ein Transistorradio plärrt irgendwo, die
Emotionen, die die Menschen hier nicht mehr zu äußern
vermögen oder nicht zu äußern wagen ... und
doch, noch ist es Leben, doch es ist farblos geworden. Ich ziehe
die Jacke an und gehe mit tumbem Kopf die Allee entlang, durch
die Halle des Hochhauses, überquere den Parkplatz und
tauche unter in dem Straßenlärm der kleinen
Provinzstadt im Ösling, kurz bevor weiter im Norden die
Welt wahrscheinlich wirklich zu Ende ist, wo nur noch Stille
ist. Stille warten, dass Zeit vergeht, warten auf wen auf was?
Plötzlich stehe ich vor dem Bahnhof, ein Laster kommt von
links, ich stolpere davor, er bremst zur Zeit er war zu langsam
ich war zu früh. Wutentbrannt springt der Fahrer aus der
Kabine und packt mich am Kragen, zerrt mich über die Straße
in ein Geschäft und ruft die Ordnungshüter, die zwei
Mann hoch erscheinen, keine Fragen, die eine zerrende Hand wird
von einer anderen abgelöst und ab geht es auf die Wache.
Der « Film » geht seinen unvermeidlichen Lauf, die
Beamten machen nachdem sie ihre Kappen abgesetzt haben einige
Telefonate und ein bisschen Schreibkram, dann geht es wieder
raus in den Wagen ab Richtung Anstalt. Ich finde mich
Augenblicke wieder auf der Geschlossenen, auf dem 7. Stock 30
Mann im Aufenthaltsraum einige massive Wärter schlendern
hin und her. Geschlossene ist Geschlossene, es werden 6 Wochen
geschlossene 30 Mann im Aufenthaltsraum ... daneben der
Raucherraum, Musik plärrt in den Raum, einige Gespräche
offenbaren sich, verrückte Hoffnungen, Ausdruck von
Perspektivlosigkeit und Verzweiflung und doch das Leben schreit
nach Zukunft nach Freiheit nach Glück. Glück? Ein
Wärter redet in einem Hinterzimmer auf mich ein ein
Ausdruck von Vertraulichkeit zwischen geschundenen und
schindenden Menschen, jeder macht seine Pflicht, es
herrschtkeine Gewalt auf der Geschlossenen. Ein Mann erzählt
von den letzten 15 Jahren, die er in der Anstalt bereits lebt,
ein Curriculum der Erniedrigung und des Schreckens.Ich stelle
mir einfach vor, ich wäre ein Soldat, der ohne mit der
Wimper zu zucken die schlimmsten Bedingungen ertragen kann und
ich kenn wohl den Gedanken, der hart macht. In der Bibliothek
Dante und andere Klassiker der Literatur neben Eingekerkerten
der Geschlossenen: ein Paradox oder Ausdruck von dem, was
Literatur erreichen zu vermag: nämlich nichts!
Humanistisches erhabenen auf dem Regal, daneben erniedrigtes und
gedemütigtes Menschsein: war das Leben schon alles, gibt es
ein Leben nach dieser Station? Der Fernseher meldet, der Reaktor
in Tschernobyl ist durchgebrannt, ein alter, zahnloser Mann
schreit in den Raum: ich denke, geschieht euch recht, soll die
Welt verrecken, wenn ich nicht leben darf, kann meinetwegen der
ganze Planet radioaktiv verglühen! Die olympischen Spiele
in den USA ein Geschäftsmann mahnt den Präsidenten zum
Frieden. Ist das eine Hoffnung, Ausdruck einer Hoffnung oder
Literatur so wie Dante im Bücherregal auf der Station. Ich
darf manchmal alleine in der Küche sitzen und lesen, ich
arbeite auch ein bisschen in der Küche, das erhöht die
soziale Stellung auf der Station, niemand greift mich an: die
Aggressionen sind mit Pillen und wahrscheinlich mit der Drohung
von Isolierhaft ausgestreckt auf einem Bett und abgewürgt.
Besuch von Freunden aus der Stadt, aus dem Jugendzentrum,
vertraute Gesichter, ich rede etwas, man sollte doch Amnesty
benachrichtigen. So fühle ich mich auch - beim nächsten
Mal kommen nur noch zwei Frauen, danach nur noch eine, danach
keine mehr.Irgendwann einmal kommt mein Onkel, der Bruder meines
Vaters, es wird geredet und die Bedingungen ändern sich von
einem Tag auf den anderen. Ich werde verlegt und komme wieder in
die andere Abteilung, die orange Türen hat, deshalb
Orangerie.Jetzt weiß ich es: für wertlose Menschen
gibt es auch in Luxemburg die Hölle. Ich will nicht mehr
wertlos sein, ich werde arbeiten, Pillen schlucken, wenn ich das
muss, ich will nie wieder auf so einer Station fristen ohne
Gewissheit, Idee und Emotion, gepeinigt von Ängsten und
Hass zwischen Klo und Dante Alleghieri mit seiner comedia
divina. eine Geschichte von Schmerz und Elend autobiographisch
und überwunden.
©Manuel 2001
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