Schon
von weitem hörte man das Raunen und Schwirren der vielen
aufgeregten Feen, die sich dort eingefunden hatten und dann sah
sie ein schönes Wesen in grüner Gewandung, das mit
klugen Augen dem Treiben der Feen zuschaute. Als es Elfenkind
erblickte, erhob es sich von seinem Platz und sagte mit leiser
aber fester Stimme: „Gandalachain“. Erschrocken
blieb Elfenkind stehen, die Feen verstummten und setzten sich
auf die umliegenden Äste und Zweige und sahen zu ihrem
Erstaunen, wie Elfenkind langsam auf ihre Knie sank und ihr
Haupt in den Staub des Weges neigte. So verharrte sie eine Weile
und eine Haselfee meinte, eine Träne gesehen zu haben, die
den weichen Waldboden netzte; dann erhob sie sich und ihre
Stimme zitterte ein wenig, als sie antwortete: „Gandalachil!“,
denn seit vielen vielen Jahren hatte niemand in der alten
Elfensprache zu ihr gesprochen, der Sprache des Herzens.
Hatte
sie doch geglaubt, diese Sprache sei ausgestorben seit die Elfen
zu den Grauen Anfurten gezogen waren, um nach Ophir
fortzusegeln. Aber nun saß plötzlich, ja, es war
unzweifelhaft, ein Elf vor ihr und sagte: `Gandalachain´,
was soviel heißt wie: ich grüße dich, liebe
Freundin. Davor war die Bedeutung des Wortes wohl: `ich habe
dich lieb´ oder `ich segne dich´ gewesen, was ja das
gleiche bedeutet, aber der Inhalt der Worte ändert sich und
vieles versteht man heute nicht mehr; denn die Sprache des
Herzens ist den meisten unbekannt. So hatte sie mit
`Gandalachil´ geantwortet: sei gesegnet, lieber Freund,
denn bei den Elfen begrüßt man sich nach
Geschlechtern verschieden, um den anderen zu ehren. Elfenkind
aber, froh nach so langer Zeit einen Elfen zu sehen, fragte
freundlich lächelnd: „Sag an, wer bist du und was
führt dich zu uns?“ - „Ich bin ein Hüter
der Tore des Gartens meiner Königin von Lorien“ ,
antwortete der Grünling in der Sprache der Feen. „Der
Tore Loriens?“ , Elfenkind war erstaunt, „Es wohnt
doch schon lange niemand mehr dort. Alle sind längst
fortgezogen, die meisten leben nun in Ophir, einige schon
hunderte von Jahren. Sag, was hast du also gehütet?“
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„
Die Tore der Gärten meiner Königin“ , erwiderte
der Elf, ein wenig unwillig, eben Gesagtes wiederholen zu
müssen, „ Vor vielen Jahren bat mich meine Königin
in Lorien, ihre Gärten zu bewachen, damit sie sicher sei in
ihnen und ich versprach, sie könne sich für immer auf
mich verlassen. Daraufhin gab sie mir einen Kuss und sagte, nun
sei sie beruhigt, habe sie doch ihren Garten in gute Hände
gegeben. Manchmal kam sie in den Garten um zu singen und ich
spürte ihren Kuss in meinem Herzen. Aber dann erschien sie
viele lange Jahre nicht mehr und ich bemerkte, wie einer nach
dem anderen fortzog, bis ich schließlich allein
zurückblieb. Mir kamen Zweifel, ob ich bleiben sollte oder
nicht und ich zog aus, um Wesen zu finden, mir ähnlich, die
Rat geben können in schwieriger Lage!“ Hatten die
Feen bisher neugierig zugehört, einige mit Tränen in
den Augen, so beeilten sie sich nun etliche Bequemlichkeiten für
den Elfen herbeizuschaffen: bald saß er auf einer weichen
Decke, aß Haselmus und Körnerbrot und trank ein wenig
Brombeersaft. Dabei sprachen die Feen aufgeregt miteinander,
fanden dann schnell eine Lösung des Problems und waren sich
einig: er sei sehr liebenswürdig und solle doch hier bei
ihnen leben; dann habe seine Einsamkeit endlich ein Ende und wo
sonst würde er jemanden finden, mit dem er sich in der
alten Sprache unterhalten könnte? Doch wagten sie aus
lauter Ehrfurcht nicht, ihn anzusprechen und so baten sie
Elfenkind, ihm zu sagen, was sie beschlossen hatten. Aber
Elfenkind, merkwürdig ernst, schaute erst die Feen an, dann
den Elfen und sagte nach kurzem Überlegen: „Geh
zurück, lieber Elf, und bewache den Garten deiner Königin,
wie du es versprachst. Pflege und hege ihn, damit alles blüht
und gedeiht, wenn sie einmal wiederkommt!“
Ein
erstauntes und ärgerliches Raunen ging durch den Feenwald,
denn bei den Feen ist es wie bei vielen Menschen: Versteht man
einmal etwas nicht, hält man es gleich für
schlecht. Doch überglücklich sprang der grüne
Elf auf, denn ein Versprechen abzugeben ist eine Sache, aber es
zu halten eine viel schönere, und er sagte: „Danke,
danke ihr Feen für den guten Rat. Ich werde mich gleich auf
den Weg machen!“ Auch Elfenkind hatte sich erhoben und
schaute ihn geheimnisvoll freundlich an und sagte: „Mach
es gut, gandalachar!“
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Was
soviel heißt wie: sei gesegnet für immer.
„Für
immer“ ,wiederholte der Elf und setzte hinzu: „Ihr
seid lieb,
ihr Feen!“ „Du
auch!“ ,riefen
alle, wünschten ihm Glück und gaben ihm noch allerlei
Feennascherei mit auf den Weg. Doch einige der großen
Lilienfeen flogen zu Elfenkind und tadelten sie. „Warum
hast du ihm nur diesen dummen Rat gegeben? Er ist doch dort ganz
alleine und wird vor Einsamkeit sterben!“ ,schimpften sie
ärgerlich.
Elfenkind
wandte sich, um zum Bach zurückzugehen. „Er ist
nie alleine“ ,antwortete sie, „Der Kuss seiner
Königin ist bei ihm und er hört sie singen!“
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Als
sie am Bach ankam, war ihr ein wenig weh ums Herz: die alten
Geschichten gingen ihr durch den Sinn und der schöne
Elf. Das Wasser des Baches murmelte seine ewig alte Melodie
der untergehenden Sonne zu.
„Gandalachar“
, flüsterte sie, „sei für immer gesegnet!“
Und
wo ihre Tränen den Sand des Weges getränkt hatten,
wuchs in jener Nacht eine rote Blume.
©2003
Paul Eitner
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