Texterläuterung
Stephanus steht vor dem Hohen Rat, fälschlich angeklagt, gegen Mose und den Tempel gesprochen zu haben. Statt sich zu verteidigen, hält er eine lange Rede, in der er Israels Geschichte rekapituliert – von Abraham über Josef und Mose bis zum Tempelbau.
Er betont, dass Gott sich seinem Volk immer wieder außerhalb Israels offenbarte: Abraham in Mesopotamien, Josef in Ägypten, Mose im Wüstenfeuer. Auch der Tempel sei nur ein vorläufiges Zeichen – Gott wohne nicht in Häusern, wie der Prophet Jesaja sagt. Immer wieder habe Israel Gottes Boten abgelehnt – und nun sogar den Gerechten getötet.
Diese Worte lösen Wut aus. Stephanus aber blickt zum Himmel und sieht Jesus zur Rechten Gottes stehen. Als er dies bekennt, gerät der Rat außer sich. Stephanus wird vor die Stadt geschleift und gesteinigt – der erste christliche Märtyrer. Während er stirbt, betet er für seine Feinde: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an.“ Die Kleider der Steinewerfer werden einem jungen Mann namens Saulus zu Füßen gelegt.
Theologische Interpretation
Stephanus’ Rede ist mehr als eine Geschichtsstunde – sie ist Anklage, Auslegung und Zeugnis. Sie zeigt, dass Gott nicht an Ort, Kult oder Tradition gebunden ist, sondern frei handelt. Immer wieder habe das Volk Gottes Sendung verkannt und Propheten verworfen – nun auch den Messias.
Stephanus verkündet nicht nur mutig die Wahrheit, sondern wird selbst zum Zeichen: Sein Tod spiegelt den Tod Jesu – sowohl im Inhalt (Vergebung für Feinde) als auch in der Haltung (Übergabe an den Vater). Mit seiner Vision des geöffneten Himmels durchbricht er das Monopol des Tempels – die Gegenwart Gottes ist nicht mehr an Gebäude gebunden, sondern an Christus.
Die Erwähnung Saulus ist ein literarischer Ausblick: Aus dem Gegner wird ein Werkzeug. Gottes Geschichte geht weiter – durch Verfolgung hindurch.
Leitthema aus heutiger Sicht: Treue im Widerstand
Stephanus steht für Menschen, die trotz massiven Drucks wahrhaftig und gewaltlos bleiben. Er passt sich nicht an, polemisiert aber auch nicht. Sein Zeugnis ist klar, seine Haltung geprägt von Geistkraft und Gnade.
Ein modernes Beispiel ist Oscar Romero, Erzbischof von San Salvador. In den 1970er Jahren sprach er öffentlich gegen staatliche Gewalt, Folter und soziale Ungerechtigkeit. Er blieb unerschütterlich in seinem Glauben und wurde 1980 während einer Messe erschossen. Wie Stephanus war auch Romero überzeugt: Die Wahrheit darf nicht schweigen – selbst wenn sie das Leben kostet. Seine letzte Predigt: „Im Namen Gottes und im Namen dieses leidenden Volkes: Ich bitte euch, ich flehe euch an, ich befehle euch: Hört auf mit der Repression!“
Zusammenfassung
Apostelgeschichte 7 ist Höhe- und Wendepunkt zugleich: Stephanus legt ein tiefes Zeugnis ab – theologisch und existenziell. Er zeigt, dass Gottes Gegenwart nicht festzuhalten ist, und dass wahre Treue zu Christus zum äußersten führen kann. Doch sein Sterben sät etwas Neues: Aus seiner Verfolgung wächst die weltweite Bewegung des Evangeliums. Die Kirche beginnt nicht in Triumph – sondern in Treue.