Apostelgeschichte 6 – Verantwortung und Berufung


Texterläuterung

Das sechste Kapitel beschreibt ein organisatorisches und geistliches Problem in der wachsenden Gemeinde: Die griechischsprachigen Witwen werden bei der täglichen Versorgung übersehen, was zu Unmut unter den Hellenisten führt. Die zwölf Apostel erkennen, dass sie sich nicht gleichzeitig um Lehre und Diakonie kümmern können.

Sie rufen die Gemeinde zusammen und schlagen vor, sieben Männer mit gutem Ruf, Weisheit und Geist zu wählen, die sich um die Verteilung kümmern sollen. Die Apostel selbst wollen sich weiter dem Gebet und der Verkündigung widmen. Die Gemeinde ist einverstanden, und es werden sieben Männer gewählt, darunter Stephanus, der besonders durch seinen Glauben und den Heiligen Geist herausragt.

Danach wächst die Gemeinde weiter, auch unter den Priestern. Stephanus aber gerät in Konflikt mit Vertretern verschiedener Synagogen, weil er mit Weisheit redet, der sie nicht widerstehen können. Sie stellen ihn als Gotteslästerer hin und schleppen ihn vor den Hohen Rat. Falsche Zeugen sagen aus, er rede gegen Mose und den Tempel. Doch Stephans Gesicht leuchtet wie das eines Engels.

Theologische Interpretation

Das Kapitel zeigt, dass Wachstum zu neuen Herausforderungen führt – auch in geistlich gesinnten Gemeinschaften. Doch anstatt das Problem zu verdrängen, reagieren die Apostel mit Weisheit, Beteiligung und Struktur. Sie delegieren Verantwortung – nicht wahllos, sondern auf geistlicher Grundlage. Die Wahl der Sieben ist ein Beispiel gelebter Gemeindekultur: geistgeleitete Leitung, partizipativ und dienend.

Zugleich beginnt mit Stephanus die Linie des Zeugnisses, das in Verfolgung mündet. Die Kraft des Geistes, die ihn erfüllt, ist nicht nur für innere Frömmigkeit da, sondern auch für Konfliktfähigkeit und Treue. Das Kapitel ist damit Brücke: von der inneren Organisation hin zur äußeren Auseinandersetzung mit der Welt.

Leitthema aus heutiger Sicht: Dienst an den Übersehenen

Die Klage der Hellenisten macht sichtbar, dass auch in geistlichen Gemeinschaften blinde Flecken existieren. Die Reaktion der Gemeinde zeigt: Klage wird gehört, Strukturen werden verändert. Der Dienst an den übersehenen Witwen ist kein „Nebenjob“, sondern heiliger Auftrag.

Ein modernes Beispiel ist Sr. Cyril Mooney, eine irische Ordensfrau, die in Kalkutta jahrzehntelang das Schulsystem für Straßenkinder reformierte. Sie entwickelte flexible Modelle, bei denen Lehrer zu den Kindern gingen – nicht umgekehrt. Ihr Ansatz: Würde beginnt da, wo man Menschen nicht übersieht. Wie bei den sieben Diakonen ging es ihr um konkrete Hilfe – aus geistlicher Motivation, nicht bloß aus sozialer Pflicht.

Zusammenfassung

Apostelgeschichte 6 zeigt eine Gemeinde, die lernfähig ist. Sie erkennt ihre Begrenzungen – und handelt. Leitung ist nicht Kontrolle, sondern Dienstverantwortung. Gleichzeitig tritt Stephanus auf die Bühne: ein Mensch voller Geist, der bereit ist, Zeugnis zu geben. Das Kapitel erinnert: Kirche ist dort lebendig, wo sie zuhört, sich organisiert – und ihren Auftrag nicht verliert.