Texterläuterung
Paulus darf sich nun vor König Agrippa II. verteidigen, in Anwesenheit von Festus und vielen Würdenträgern. Es ist keine Gerichtsverhandlung im engeren Sinne, sondern eine offizielle Anhörung. Paulus beginnt seine Rede mit Respekt gegenüber Agrippa, den er als Kenner jüdischer Bräuche anspricht.
Er schildert erneut seinen Werdegang: Seine Jugend als strenger Pharisäer, seine kompromisslose Verfolgung der Christen und schließlich seine Begegnung mit dem auferstandenen Jesus auf dem Weg nach Damaskus.
In dieser Vision erhält Paulus seine Berufung: Er soll den Menschen die Augen öffnen, sie von der Finsternis zum Licht führen – nicht nur Juden, sondern auch Heiden. Seitdem predigt er in Judäa und unter den Nationen Umkehr, Buße und Glauben an Christus.
Paulus betont, dass seine Botschaft im Einklang mit den Schriften steht: Der Messias musste leiden und als Erster von den Toten auferstehen. Als er davon spricht, unterbricht ihn Festus und ruft: „Paulus, du bist von Sinnen!“ Paulus entgegnet: „Ich rede Worte der Wahrheit und Besonnenheit.“ Dann wendet er sich direkt an Agrippa: „Glaubst du den Propheten? Ich weiß, dass du glaubst.“
Agrippa antwortet zögerlich: „Es fehlt nicht viel, und du machst aus mir einen Christen.“ Paulus erwidert: „Ich wünschte, dass alle hier so wären wie ich – abgesehen von diesen Fesseln.“
Am Ende sind sich Agrippa und Festus einig: Paulus hat nichts getan, was den Tod oder Gefangenschaft verdient. Agrippa sagt sogar: „Er hätte freigelassen werden können, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte.“
Theologische Interpretation
Kapitel 26 ist Paulus’ letzte große Rede in der Apostelgeschichte – und zugleich eine seiner persönlichsten. Es ist kein klassisches Verteidigungsplädoyer, sondern ein leidenschaftliches Glaubenszeugnis. Paulus steht nicht als Angeklagter vor Königen, sondern als Beauftragter Gottes.
Er stellt seine Berufung in den Mittelpunkt – nicht als inneres Gefühl, sondern als Auftrag des auferstandenen Christus. Seine klare Botschaft: Gott will Rettung – für Juden und Heiden. Die Reaktionen sind bezeichnend: Festus reagiert mit Spott, Agrippa mit Nachdenklichkeit. Beide sind von Rang – aber unentschlossen. Paulus dagegen spricht mit innerer Freiheit, obwohl er in Ketten ist.
Bemerkenswert ist Paulus’ Wunsch, dass alle so werden wie er – er lädt nicht zur Religion ein, sondern zur lebendigen Beziehung mit Christus.
Leitthema aus heutiger Sicht: Zeugnis mit Würde und Mut
Paulus begegnet Spott und Macht nicht mit Trotz, sondern mit Würde, Wahrheit und einer Einladung zum Glauben. Auch heute brauchen Christen diese innere Freiheit, in angespannten oder säkularen Kontexten mutig und respektvoll über ihren Glauben zu sprechen.
Ein aktuelles Beispiel ist die niederländische Politikerin und Juristin Mirjam Bikker, Vorsitzende der ChristenUnie. Sie steht in einem säkularen Umfeld für christliche Werte ein – mit Sachlichkeit, Klarheit und großer Dialogfähigkeit. Sie redet nicht in Parolen, sondern in Verantwortung – mit einem ähnlichen Mut zur Überzeugung wie Paulus: respektvoll, aber fest verwurzelt im Evangelium.
Zusammenfassung
Apostelgeschichte 26 ist Höhepunkt und Abschied zugleich. Paulus nutzt seine letzte Bühne nicht zur Verteidigung, sondern zur Verkündigung. Seine Rede ist durchdrungen von Hoffnung, Klarheit und einer tiefen Liebe zu den Menschen – selbst zu denen, die ihn gefangen halten. Wer Christus kennt, kann selbst vor Mächtigen frei sprechen – weil er weiß, dass die Wahrheit größer ist als jede Kette.