Richter 15 – Gewalt, Rache und der Gott, der trotzdem handelt

1. Texterläuterung

Kapitel 15 erzählt die nächste dramatische Episode im Leben Simsons. Nach seiner Abwesenheit kehrt er zurück, um seine Frau zu besuchen – doch deren Vater hat sie in seiner Abwesenheit einem anderen gegeben. Als „Trost“ bietet er ihm die jüngere Schwester an. Simson reagiert wütend: Er fängt 300 Füchse, bindet jeweils zwei zusammen, befestigt Fackeln an ihren Schwänzen und lässt sie durch die Felder der Philister laufen. Das Getreide, die Olivenhaine und die Weinberge werden verbrannt.

Die Philister rächen sich grausam: Sie verbrennen Simsons Frau und ihren Vater. Simson sinnt auf weitere Vergeltung. Er schlägt sie „bis aufs Bein“ (ein hebräischer Ausdruck für eine große Niederlage) und zieht sich dann in eine Felsspalte zurück.

Die Philister rücken nun mit einer Streitmacht gegen Juda vor, um Simson auszuliefern. Die Judäer – 3000 Männer – steigen zu ihm hinab und fordern ihn auf, sich auszuliefern, um ihre eigene Sicherheit zu wahren. Simson willigt ein, solange sie ihn nicht selbst töten.

Sie binden ihn mit zwei neuen Seilen. Doch als er vor die Philister gebracht wird, kommt der Geist des HERRN auf ihn. Die Seile zerreißen, und mit dem Kinnbacken eines Esels erschlägt Simson tausend Philister. Er dichtet anschließend ein Siegeslied und nennt den Ort „Ramath-Lechi“ („Hügel des Kiefers“).

Zum Schluss bittet Simson – nun erschöpft und durstig – Gott um Wasser. Gott spaltet eine Felsmulde, aus der Wasser fließt, und Simson wird gestärkt. Die letzte Zeile: „Und er richtete Israel zur Zeit der Philister zwanzig Jahre lang.“

2. Theologische Interpretation

Kapitel 15 ist geprägt von Eskalation, Gegengewalt und Gottes Eingreifen. Simson ist weder klassischer Held noch geistlicher Leiter – er ist ein einzelgängerischer Streiter, getrieben von Rache und Stolz. Doch selbst in dieser Spirale von Vergeltung wirkt Gott – indem er Simson Kraft gibt, Israel vor den Philistern zu schützen.

Auffällig ist, dass Simson mehrmals allein kämpft. Er hat keine Armee, keine Freunde – nicht einmal das eigene Volk steht hinter ihm. Juda liefert ihn aus, anstatt ihn zu unterstützen. In dieser Einsamkeit wird deutlich: Gott wirkt auch mit einem Einzelnen, der sich nicht scheut, Unrecht zu benennen – aber auch dessen Schwächen trägt.

Das Motiv der Kraft Gottes ist erneut entscheidend: Der Geist des HERRN befähigt Simson, nicht seine Wut. Und am Ende: Der große Kämpfer bittet nicht um Sieg, sondern um Wasser. Die Szene erinnert: Simson ist trotz seiner Stärke abhängig – ein Mensch wie jeder andere.

3. Leitthema aus heutiger Sicht: Gott gebraucht auch unvollkommene Werkzeuge

Das Kapitel zeigt: Selbst zorngetriebene, eigensinnige Menschen können von Gott gebraucht werden – wenn auch nicht ohne Folgen. Gottes Souveränität bedeutet nicht, dass er Verhalten billigt, sondern dass er auch durch gebrochene Charaktere Geschichte schreibt.

Ein Beispiel dafür ist Oscar Schindler (1908–1974). Er war kein moralischer Held im klassischen Sinn – ein Geschäftsmann, Lebemann, zeitweise NSDAP-Mitglied. Doch während des Holocaust rettete er über 1.200 jüdische Menschen, indem er sie auf eine Liste setzte und als „unverzichtbare Arbeiter“ schützte. Später sagte er selbst: „Ich hätte mehr tun können.“ Gott nutzte ihn – trotz seiner Brüche. Wie bei Simson: Der Retter war nicht makellos, aber mutig im Moment der Entscheidung.

4. Zusammenfassung

Richter 15 erzählt von Wut, Gewalt und göttlicher Kraft. Simson ist kein Vorbild an Demut oder Weisheit, aber Gott gebraucht ihn – zum Schutz seines Volkes. Die Spirale der Vergeltung zeigt die Gefahren des Zorns, aber auch: Gott ist stärker als unser Versagen. Und selbst der stärkste Mensch ist abhängig – von Wasser, von Gnade, von Gott.