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Abhängigkeit
Ernesto
Cardenal, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels
1980, schreibt in seinem „Buch von der Liebe“:
Sucht
Alle
Menschen werden mit einem verwundeten Herzen und einem
unstillbaren Durst geboren. „Wie dürres Land lechzt
meine Seele Dir entgegen,“ (Psalm 142). Der Vorgang des
Essens und Trinkens wurde vom Schöpfer als materielles
Symbol dieses Hungers und Durstes nach Gott eingesetzt.
Dieser
Durst nach Gott spiegelt sich als innere Unruhe auf den
Gesichtern aller Menschen, welche die Straßen, die Läden,
die Kinos und Bars bevölkern. Alle Welt trägt einen
Wunsch mit sich, viele Wünsche, eine Unendlichkeit von
Wünschen: noch ein Gläschen, noch ein Stück
Kuchen noch ein Blick, noch ein Wort, noch ein Kuss, noch ein
Buch, noch eine Reise. Mehr und immer mehr. Alle Gesichter
verwundet von Unruhe und Wünschen. ...................
Der
Mensch denkt immer, mit ein wenig mehr hätte er schon
genug, aber immer wünscht er dann doch noch mehr und
mehr. Er denkt, mit einem Häuschen, einem Wagen, einer
netten Frau und gutgeratenen Kindern wäre er zufrieden,
aber dann geht er doch immer wieder mit der gleichen Unruhe aus
dem Haus. Er sucht immer neue Dinge mit immer gleicher Sucht.
Mit immer gleicher Gier kauft er seine Zeitung, die er dann
fortwirft, und immer wird er gleich unbefriedigt bleiben. Es ist
wie eine Krankheit, die ihn zwingt, immer mehr und mehr zu
essen, ohne dass er jemals satt würde. Platon hat einmal
gesagt, der Mensch sei wie ein zerbrochenes Gefäß,
das sich nie füllen lässt. Die Sinne mögen sich
an Genüssen überessen, die Seele bleibt doch immer
unbefriedigt. Die irdischen Freuden bleiben an der Peripherie
des Körperlichen und dringen nicht bis zur Seele vor. Sie
verschlimmern höchstens ihren Durst, weil sie fühlt,
dass der Kelch der Freude nicht einmal bis an ihre Lippen
gelangt ist. Es ist, als ob wir uns mit einer Nahrung sattessen
wollten, die nichts hergibt, oder uns mit einem Wein betrinken,
der nicht trunken macht. Die Nahrung füllt uns zwar, aber
unser innerster Hunger wird nicht gestillt, sondern eher
angefacht. Wir können überdrüssig werden, aber
niemals satt. Und so, wie wir uns von der Tiefe eines Brunnens
überzeugen, wenn wir einen Stein hineinwerfen und seinen
Aufprall nicht mehr hören, so können wir uns von der
Tiefe unserer Seele überzeugen, wenn die Dinge in sie
hineinfallen und einfach verschwinden, ohne daß ein Echo
nachklingt, ohne dass wir sie fallen hören. Weil Gott
auf dem Grund jeder Seele wohnt, ist die Seele unendlich und
kann mit nichts gefüllt werden als mit Gott.
...............................
Die
Menschen sind mit den Dingen dieser Erde nie zufrieden, weil sie
nicht für sie geschaffen wurden. Die Tiere befriedigen ihre
Bedürfnisse und brauchen nicht mehr. Sie spüren keinen
Durst nach Unendlichkeit in sich, und diese Erde ist ihr Himmel.
Darum sind die Tiere nie von ihrem Leben enttäuscht und
begehen nie Selbstmord, weil sie für diese Schöpfung
erschaffen wurden. (Und alle Tiere sind auch Heilige, mit ihrer
tierhaften Heiligkeit, sie sind keusch und arm und gehorsam wie
die Mönche, und sie sind demütig.) Unser Sein aber
ist entworfen worden, um Gott zu lieben, um Ihn zu besitzen und
Ihn zu genießen, wie die Makrele entworfen wurde zum
Schwimmen und die Möwe zum Fliegen. Der Mensch ist nicht
zum Genießen dieser Erde, sondern zum Genießen
Gottes erschaffen. Und darum sind wir nur mit Gott
glücklich. Obwohl wir Gott nie gesehen haben, sind wir
wie Zugvögel, die an einem fremden Ort geboren, doch eine
geheimnisvolle Unruhe empfinden, wenn der Winter naht, einen Ruf
des Blutes, eine Sehnsucht nach der frühlingshaften Heimat,
die sie nie gesehen haben und zu der sie aufbrechen, ohne zu
wissen, wohin. Sie haben den Ruf des Gelobten Landes vernommen,
die Stimme des Geliebten, der ruft:
»Auf,
meine Freundin! Du meine Schöne, komm! Vorüber ist die
Winterzeit, der Regen ist vorbei« (Hohes Lied, 2,10).
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