Impuls:
Vorbild
Sonntagsgottesdienst
in einer Wiener Gemeinde. Ein älterer Herr, deutlich über
80 Jahre, hat die Leitung. Er begrüßt die Gäste,
sagt die Geburtstage und Lieder an, dann liest er eine
Bibelstelle und legt sie kurz aus. Ich staune, denn der Mann
benutzt bei allem stets sein Smartphone. Mit wenigen Fingertips,
ohne seinen Redefluss zu unterbrechen, schaltet er offenbar
mühelos zwischen den Apps und Dokumenten hin und her. Ich
bin beeindruckt, denn mir gelänge das nicht und ich bin um
einiges jünger. Nach dem Gottesdienst gibt es selbst
gebackenen Kuchen und Wiener Melange. Er kommt an unseren Tisch
und ich sage ihm, wie sehr ich ihn wegen seines wendigen Umgangs
mit dem Smartphone bewundere. Er schiebt das Lob beiseite und
berichtet auf meine Nachfrage nach seiner Gesundheit ganz
gelassen, dass er seit Jahren alleine lebe, nun 86 Jahre alt und
voller Krebs sei, aber sich nicht operieren lassen wolle. Auf
meine erstaunte Frage hin, warum er das nicht tue, antwortete er
ganz fröhlich mit einem verschmitzten Lächeln, er sei
doch Gottes Kind und habe noch eine Aufgabe in der Gemeinde. Also
werde Gott ihn doch so lange erhalten, bis seine Aufgabe erledigt
sei. Er selbst müsse und wolle da gar nichts tun. Ich
staune noch über diese einfache, so vertrauensvolle Logik,
als eine junge Frau an ihn herantritt und nach ihrem nächsten
Kindergottesdienst Einsatz fragt. Er zückt sein Handy und
gibt ihr Auskunft, plant sie um und an anderer Stelle ein. Dann
wendet er sich wieder mir zu und fragt mit seinem ganzen Wiener
Charme: „Was meinst du Bruder, ob die im Himmel da oben
inzwischen auch schon Wlan haben?“
Fantastisch!
Der Mann ist mir Vorbild geworden. Noch heute stimmt es mich
fröhlich, wenn ich an ihn denke. Diese Leichtigkeit des
Seins selbst im Umgang mit Schwerem, dieses Vertrauen zu Gott,
diesen selbstverständlichen Dienst für IHN möchte
auch ich in meinem Leben. Und ich möchte - so wie er –
weitergeben von dem, was Gott mir geschenkt hat. Hat mein
Leben Vorbildhaftes für andere? Wie sehen meine Mitarbeiter,
meine Familie, meine Freunde mich? Was strahle ich aus? Paulus
sagt in obigem Bibelvers ganz selbstbewusst: macht alles so wie
ich. Etwa weil er, Paulus, so ein toller Mensch war? Sicher
nicht, sondern weil er ein Kind Gottes war und weitergeben
durfte, was Gott ihn gelehrt hatte. Das genügt, um Vorbild
zu sein: zu Christus zu gehören und sich als Christ zu
erweisen. Der Mann in meinem Erlebnis wusste gar nicht, dass
er mir Vorbild wurde. Auch ich weiß nicht, wem ich alles
Vorbild bin. Das ist gut so, Nur mein authentisches Christsein
ist gefragt. Und dann und wann mal ein wenig Wiener Charme.
Heute? Ja, heute!
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